Juan Moreno, „Journalist des Jahres 2019“

Juan Moreno auf der Homepage des Medium Magazin
Homepage des Medium Magazin am 21. Februar 2020. (Screenshot: Wolfgang Jung)

Eine etwa 100köpfige Jury hat den freien Journalisten Juan Moreno zum „Journalisten des Jahres 2019“ gekürt.

Moreno verdient diese Auszeichnung wie nur wenige. Er deckte die preisgekrönten Betrügereien des Spiegel-Redakteurs Claas Relotius auf, die der Spiegel selbst ermöglicht hatte durch ein Redaktionsklima, in dem elitäre Selbstbesessenheit und ein gravierender Mangel an journalistischem Ethos herrschten.

Moreno, der als Freiberufler auch für den Spiegel arbeitete, setzte sich gegen vehemente Widerstände im Haus durch, wohlwissend, dass er damit seine wirtschaftliche Existenz riskiert.

„Angesichts der Widerstände, mit denen wir alle zu tun haben … lassen wir uns etwas daraus lernen, etwas, das vielleicht bleibt: das Trotzdem.“

Juan Moreno

Das Medium Magazin richtet den Preis „Journalist des Jahres“ aus. Moreno lässt in seiner sehr eigenen und großartigen Rede zur Preisverleihung ahnen, wie hart sein Kampf war und was er und seine Familie auszustehen hatten.

Unter Journalist:innen gibt es eine große Kraft und Leidenschaft für den Beruf, unbedingtes Ethos und das Streben nach Selbstverbesserung.

Es gibt aber allerdings die Gleichgültigkeit und Verantwortungslosigkeit, die es woanders auch gibt. Kolleg:innen sonnen sich in ihrer relativen Prominenz, beantworten Widerstände mit Opportunismus, meiden Aufwand und Ärger, denken in Reichweite statt ethisch.

Der ganzen Zunft gibt Moreno am Ende seiner Rede auf: „Angesichts der Widerstände, mit denen wir alle zu tun haben … lassen wir uns etwas daraus lernen, etwas, das vielleicht bleibt: das Trotzdem.“

Literaturtipp

Juan Moreno: Tausend Zeile Lüge. Das System Relotius und der deutsche Journalismus

Juan Moreno: Tausend Zeile Lüge. Das System Relotius und der deutsche Journalismus. Rowohlt Berlin, 2019

Verhafteter Terrorverdächtiger war Mitglied einer rassistischen Bürgerwehr in Würzburg

Die „Soldiers of Odin“ aus Würzburg hatten mit mindestens zwei der Terrorverdächtigen zu tun, die am Valentinstag festgenommen wurden.

Logo Soldiers of Odin Germany
Das Logo der „Soldiers of Odin Germany“ auf der Brust des Würzburgers Jürgen G., dem zeitweiligen Anführer der rassistischen Bürgerwehr in Bayern. (Foto: Wolfgang Jung)

Am vergangenen Freitag, 14. Februar, nahmen Sicherheitsbehörden in sechs Bundesländern ein Dutzend Männer fest, die eine neonazistische Terrorgruppe gegründet haben sollen. Die Behörden nennen sie „Gruppe S.“, nach dem Initial ihres mutmaßlichen Anführers Werner S.

Unter den Festgenommen, allesamt Männer zwischen 31 und 60 Jahren, ist der Münchner Frank H., ehemals „Sergeant-at-Arms“ der rassistischen Bürgerwehr „Soldiers of Odin Germany“, zuständig für Disziplin und Bewaffnung innerhalb der Gruppierung.

Drohkulisse gegen Leute, die nicht ins Deutschland-Bild passen

Die „Soldiers of Odin Germany Division Bayern“ beschrieben sich auf Facebook als „Nonprofit Organization in Würzburg“. Zu den „Team Members“ gehörte der mutmaßliche Terrorist Frank H. (Screenshot: Wolfgang Jung)

Auf Facebook ist er 2017/18 als „Team Member“ der Würzburger Filiale der „Soldiers of Odin Germany Division Bayern“ aufgetreten. Würzburg war in Bayern das aktive Zentrum der „Soldiers“.

H. ist mit seinen Kameraden auch in Würzburg „Streife gelaufen“ – so nannte das die vermeintliche Bürgerwehr. Vorgeschobener Zweck dieser Streifen war die Sorge um die öffentliche Sicherheit. Tatsächlich ging es aber darum, eine Drohkulisse gegen Muslime, People of Color, Schwule und Linke aufzubauen.

Das bayerische Landesamt für Verfassungsschutz beobachtete die „Soldiers“ ab Ende 2017 mit der Begründung, sie wollten „staatlichen Organen generell die Legitimität absprechen“, verbreiteten Fragmente der „völkisch-biologistischen Ideologie des Rechtsextremismus“ und schürten und stärkten Ängste vor Menschen mit Wurzeln im Ausland.

Konnte H. nicht an einer „Streife“ in Würzburg teilnehmen, richtete er auf Facebook sein Bedauern aus.

So wie der Münchner H. zu rassistisch motivierten „Streifen“ in Würzburg, Regensburg oder Landshut auftauchte, so marschierten auch Würzburger „Soldiers“ – unter ihnen Frauen – in anderen bayerischen Städten mit.

Am 21. Oktober 2017 veröffentlichten die „Soldiers“ auf YouTube das Video von einer „Streife“ durch Landshut. Zweiter von links ist der Terrorverdächtige Frank H., zu seiner Rechten steht der Würzburger Jürgen G. (Screenshot: Wolfgang Jung)

Die „Soldiers“, aber auch Journalisten, veröffentlichten Fotos, auf denen H. mit Mitgliedern der Würzburger „Soldiers“ unterwegs ist, vor allem mit dem Würzburger Jürgen G. Der, eine massige Erscheinung mit tiefer rechtsextremistischer Vergangenheit, war „Vize Leader“ und kurzzeitig auch „Leader“ der bayerischen „Soldiers of Odin“.

Rassistisch und gewaltbereit

(Screenshot: Wolfgang Jung)

Ihn traf ich im November 2017 für Berichte in der Main-Post. Er stellte die „Soldiers“ als unpolitische Bürger dar, die für öffentliche Sicherheit sorgen wollten. Eine Schutzbehauptung sei das, erklärte der Verfassungsschutz dazu.

Was es mit Gruppe tatsächlich auf sich hatte, war in ihren Auftritten in den sozialen Medien nachzulesen. Die „Soldiers“ waren ein Milieu, in dem potenzielle Gewalttäter reifen konnten.

Die „Soldiers“ waren gewaltbereit. G. zum Beispiel postete im Herbst 2017 Memes wie dieses: „Der Optimist lernt Chinesisch. Der Pessimist lernt Arabisch. Der Realist lernt Schießen“.

Sympathie und Stimmen für die AfD

Das Mitglied Michael F., ein Kampfsportler, zeigte sich auf Facebook unter anderem mit einer Streitaxt oder mit einer Handfeuerwaffe im Anschlag. In einem Beitrag berichtete er, er habe Quarz-Handschuhe erworben, ein beliebtes Schlag-Utensil der Türsteher- und Hooliganszene. Er machte kein Hehl aus seiner Gewaltbereitschaft.

G., H., F. und zahlreiche weitere „Soldiers“ erklärten auf Facebook, dass die AfD die Partei ihrer Wahl ist. Am Abend der Landtagswahl von 2018 in Bayern veröffentlichte der mutmaßliche Terrorist H. ein Foto, das seinen Wahlzettel und seine Kreuze bei der AfD zeigen soll.

Zunge abschneiden, Hände abhacken, waterboarden

H. reagierte in der nichtöffentlichen Facebook-Gruppe der „Soldiers“ auf meine Berichterstattung: „Jeder der dagegen (gegen die „Soldiers“, WJ) angehen will Wir verleumdet und als Rechter angeprangert (…) Organisiert Euch, steht auf und helft mit. es ist Eure Stadt, euer Land (…)“. (Fehler wie im Original.)

(Screenshot vom 24. November 2017: Wolfgang Jung)

Die Gattin des „Vize Leaders“ empfahl den „Soldiers“, mir die Zunge abzuschneiden und die Hände abzuhacken. Michael F. kommentierte, man solle mir ein dreistündiges Waterboarding in einer öffentlichen Toilette gönnen.  

Treffen mit dem mutmaßlichen Anführer der Terrorverdächtigen

Anfang 2018 begannen die „Soldiers“ sich zu entzweien. Einige, wie H. und G., wechselten zur Neugründung „Wodans Erben Germany“, andere wie F. zu „Vikings Security Germania“ – beide Gruppierungen absolvierten wie die „Soldiers“ weiterhin rassistisch motivierte Streifen in Bayern.

Im Februar 2018 postete G. auf Facebook Fotos von einem „Soldiers“-Treffen auf einer Waldlichtung, die offenbar im Vorjahr aufgenommen worden waren. Zu sehen sind unter anderem H. und Werner S., genannt „Teutonico“, den die Sicherheitsbehörden für den Anführer der jetzt ausgehobenen mutmaßlichen Terrorgruppe halten. S. spielte dem Anschein nach eine zentrale Rolle bei diesem Treffen. G. zeigt auf den Fotos, wie sich etwa zwei Dutzend „Soldiers“, wenige Frauen unter ihnen, im Halbkreis vor Werner S. versammeln und augenscheinlich seiner Rede lauschen.

H. war unter anderem im Februar 2019 dabei, als eine Gruppe von „Wodans Erben“ in Nürnberg mit Fackeln übers Reichstagsgelände marschierte.

Ein Mitglied der „Viking Security Germania“, Thomas N., gehört wie Frank H. zum mutmaßlichen Terror-Dutzend, das die Polizei jetzt ausgehoben hat.

G., der ehemalige „Soldiers“-Chef aus Würzburg, hält sich inzwischen offenbar fern von öffentlichen rechtsextremistischen Auftritten. Auf seinem Facebook veröffentlicht er allerdings nach wie vor rassistische Postings.


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Vom Stunkern und Stänkern

„Du sollst doch nicht immer so grubeln“, hat sie gesagt, immer würde ich so grubeln. Ich grüble, sagte ich, weil ich Grund zum Grübeln habe. „Ah!“, hat sie gesagt, „du grundelst!“

Sie ist Portugiesin mit Faible für Sprachen, unter anderem hat sie Deutsch studiert. Sie ist intelligent und klug, kennt den Namen jeder Grammatik-Figur in unserer Sprache, aber sie sagt „grundeln“. Aus einer Höhle macht sie eine Hölle, aus dem Koller einen Kohler, aus Hanne Anne und aus Anne Hanne und aus „heißes Eisen“ „eißes Heisen“. Das macht sie immer. Sie sagt auch „Kugelchen“ statt „Kügelchen“.

Seit 30 Jahren lebt sie in Deutschland, vor 13 Jahren lernte ich sie kennen. Da erzählte sie, eine Bekannte von mir habe „rumgestunkert“. Was hat die? „Rumgestunkert. Schlechte Luft gemacht.“ Ich sagte, das heiße „stänkern“. Sie fand das unlogisch. Logisch wäre, meinte sie, dass stunkert, wer Stunk macht.

Ich versuchte zu erklären und konnte nicht. Wahrscheinlich komme das Stänkern vom Gestank. Aber, fragte sie, warum sage man dann nicht „stanken“, und woher komme dann das „Stinken“?.

Weiß ich nicht. Wir sagen auch „ein Duft liegt in der Luft“, aber wir lüften, weil es duftet. Und ja, das ist auch nicht logisch und ich weiß auch nicht, wie man sich das merken kann. Und warum bei uns die Sonne weiblich und der Mond männlich ist, wo sonst auf der Welt der Mond weiblich und die Sonne männlich ist, weiß ich auch nicht. Doch, ich weiß es, aber das ist jetzt auch egal.

Neulich erzählte eine Freundin, ihr brasilianischer Gatte habe sie gefragt, warum es „zusammengeklappt“ heiße, wo er doch alleine geklappt sei.


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Über Willi Dürrnagels Buch „Würzburger Straßen“

Wie ein einflussreiches Mitglied des Stadtrats versucht, mit anderer Leute Arbeit Renommee für sich zu schöpfen

Ich halte Willi Dürrnagels Buch „Würzburger Straßen“, erschienen im Spurbuchverlag, zu erwerben für 9,80 Euro, für ein ausgemachtes Ärgernis.

Dürrnagel stellt in Text und Bild die Eichhorn-, Herzogen-, Wilhelm-, Martin- und Spiegelstraße vor. Dabei missachtet er die Urheberrechte von Autor:innen und Fotograf:innen in einem Ausmaß, wie ich es aus der Literatur über Würzburg nicht einmal annähernd kenne.

92 Seiten schmal ist Buch. Seite 91 hat Dürrnagel überschrieben mit „Quellen- und Literaturverzeichnis“. Darunter verweist er auf sein Archiv und auf sonst nichts.

Ein Buch voller Plagiate

Ein erster Abgleich mit Thomas Memmingers Standardwerk „Würzburgs Straßen und Bauten“, 2. Auflage, von 1925, brachte rund 50 Plagiate zu Tage. Dürrnagel übernimmt Sätze und Absätze, ohne sie als Zitat zu kennzeichnen. Manche verändert er leicht, wie auf Seite 38 unter „Eichhornstraße 7“: „Hier stand der ‚Hof zum Hufhalter‘, der zu Beginn des 17. Jahrhunderts im Besitz des bedeutenden Adrianus Romanus, Kanonikus am Stift Neumünster, war.“

Der Satz stammt von Memminger (Seite 139), nur dass der den Kanoniker „berühmt“ nannte.

Die Seite 53 überschreibt Dürrnagels mit „Memminger Straßen und Bauten“, ohne weiter darauf einzugehen. Wer das Werk nicht kennt, mag rätseln, was die Spiegelstraße mit Memmingen zu tun hat. Wer es kennt, wird die Überschrift auch nicht entschlüsseln.

Und so sieht des Rätsels Lösung aus:

Die Seiten 53 und 54 in „Würzburger Straßen“. Gelb markiert sind die Stellen, die Dürrnagel aus Thomas Memmingers „Würzburgs Straßen und Bauten“ plagiiert hat. (Markierungen: Wolfgang Jung)

Die gelb markierten Stellen hat Dürrnagel wortwörtlich von Thomas Memminger abgeschrieben. Die nicht markierten Stellen sind angesichts des Sprachstils sicher auch plagiiert. Ich weiß nur noch nicht, woher.

Das Buch ist voller Plagiate. Auf Seite 63 unter „Eichhornstraße 18“ ist die Geschichte des jüdischen Holz- und Kohlehändlers Ferdinand Dessauer zu lesen. Erforscht und aufgeschrieben hat diese Geschichte die Würzburger Historikerin Dorothee Klinksiek für die Webseite stolpersteine-wuerzburg.de. Dürrnagel hat sie kopiert und wortwörtlich in sein Buch eingefügt, ohne sie als Zitat zu kennzeichnen und ohne Hinweis auf Urheberin und Quelle.

Auch Meinungen stammen von anderen

Nicht einmal da, wo im Buch ein persönliches Urteil oder eine Wertung über einen Bau oder einen Straßenzug zu lesen ist, kann man darauf vertrauen, dass Dürrnagel sich das selbst ausgedacht hat. Ein prägnantes Beispiel steht auf den Seiten 28/29, wo es um die einstige Gewerbehalle in der Eichhornstraße geht, und um ein Aquarell von Peter Geist, das die Halle zeigt. Über zwei Seiten geht der Text. Er stammt original aus dem dritten Band der „Ansichten aus dem alten Würzburg“, erschienen im Jahr 2000 als Katalog zur Graphischen Sammlung des Mainfränkischen Museums. Wie überall kennzeichnet Dürrnagel den Text nicht als Zitat und benennt nicht die Urheberin und die Quelle.

Die Seiten 28 und 29 aus dem Katalog „Ansichten aus dem alten Würzburg, Teil III“. Gelb markiert sind die Stellen, die Dürrnagel plagiiert hat. (Markierungen: Wolfgang Jung)

Vier Sätze auf den zwei Seiten entstammen nicht dem Katalog, sind zweifelsohne aber auch plagiiert. Ich habe die Originalstelle nur noch nicht entdeckt.

Die Main-Post, auf die Plagiate aufmerksam gemacht, befragte Dürrnagel. Sie berichtet seine Aussage, nach der er „außer dem Standardwerk ‚Würzburgs Straßen und Bauten‘ von Thomas Memminger (…) bewusst keine anderen Bücher herangezogen“ habe.

Kenner:innen der Würzburg-Literatur könnten sich einen Sport aus der Suche nach den Originalstellen machen. Ständige Wechsel in Sprachstil und -duktus zeigen an, ab wann Dürrnagel sich einer anderen Arbeit bemächtigt hat. Eine interessante Aufgabe wäre herauszubekommen, auf wie vielen der 92 Seiten er nicht plagiiert hat.

Wie bei den Texten, so agiert Dürrnagel auch bei den zahlreichen Bildern, die er hier veröffentlicht. Er verschweigt Urheber und Quellen.

Was Dürrnagel übersehen hat

Dürrnagels Diebstahl geistigen Eigentums ist so gravierend, dass eine kritische Auseinandersetzung mit den Inhalten kaum ins Gewicht fällt.

Er übersieht, dass die Würzburger:innen manches veränderten, seit die klugen Köpfe, von denen er abschreibt, sich damit beschäftigt haben.

Das Haus zum schönen Eck, den Hof Rettersheim und den Hof Emmeringen etwa schreibt er der Martinstraße zu. Das ist falsch. Seit 2012 heißt diese Ecke Würzburgs Otto-Wels-Straße.

Ein exemplarisches Ereignis ist nicht der Rede wert

Auf einem Foto vom Anwesen Eichhornstraße 5/7, das er auf das Jahr 1934 datiert, ist das Geschäft „Wohlwert“ zu sehen, betrieben von der jüdischen Kaufmannsfamilie Ruschkewitz, mit einem großen Menschenauflauf davor.

Der Historiker und frühere Main-Post-Redakteur Roland Flade weiß es besser. Das Foto stammt aus dem Jahr 1933. In seinem Standardwerk „Die Würzburger Juden“ von 1996 zeigt Flade diese Aufnahme (Quelle: Staatsarchiv Würzburg) mit der Bildunterzeile: „Drei Wochen vor der ersten reichsweiten Boykottaktion gegen Juden erzwingt eine von NSDAP-Gauleiter Otto Hellmuth angeführte Menschenmenge am 11. März 1933 die Schließung jüdischer Geschäfte. Besonders viele aufgehetzte Bürger versammeln sich vor dem Einheitspreisgeschäft Wohlwert an der Ecke Eichhorn-/Wilhelmstraße.“

Unter der „Wohlwert“-Adresse Eichhornstraße 5/7 firmiert im Dürrnagel-Buch auf einem Foto von 1949 die Firma Neckermann. Die Geschichte zwischen 1933 und 1949 fehlt. Die Nationalsozialisten hatten die Ruschkewitz‘ dermaßen traktiert, dass die Familie 1935 den „Wohlwert“ dem „arischen“ Würzburger Unternehmer Josef Neckermann abtrat, für einen Bruchteil des Wertes. Der erzwungene Verkauf, beispielhaft für viele ähnliche, war Dürrnagel der Rede nicht wert.

Ebenso wie fürs Entdecken Dutzender Plagiate genügte auch für das Entdecken sachlicher Fehler und fragwürdiger Auslassungen eine oberflächliche Betrachtung.

Gesellschaftliches und politisches Renommee durch Plagiate

Mit diesem Buch betrügt Dürrnagel seine Leser:innen, indem er ihnen vorgaukelt, das, was sie lesen, stamme von ihm.

Er betrügt Forscher:innen, Autor:innen, Fotograf:innen und Verlage, indem er ihre Arbeit als die seine ausgibt, und schöpft daraus gesellschaftliches und politisches Renommee.

Er könnte sich ehrlich machen, indem er dieses Machwerk zurückzieht und die Käufer:innen und jene, bei denen er abgekupfert hat, um Entschuldigung bittet.


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Nieder mit dem generischen Maskulinum!

Ich hatte mich gefürchtet vor der vielen Arbeit, deswegen ließ ich es jahrelang liegen, mit schlechtem Gewissen: das gendergerechte Umbauen meiner Texte auf dieser Webseite.

Im Januar, als ich mich an den Relaunch von schreibdasauf.info machte, fand ich keine Ausreden mehr.

Frage an den Schwarm!Ich relaunche meine Website. Dazu gehört, die Texte nach und nach geschlechtergerecht…

Gepostet von Wolfgang Jung am Samstag, 18. Januar 2020
Wer das Posting anklickt, begibt sich in die Fänge des Datenkraken Facebook, kann aber beim Anklicken der kleinen Sprechblase am unteren Ende die Diskussion nachlesen.

Einige, Männer und Frauen, interessierte die Frage nach dem Wie weniger als die Frage nach dem Ob.

Übers Ob bin ich hinaus, das diskutiere ich nicht mehr.

In meinem 60. Lebensjahr habe ich eben zum ersten Mal das Wort "Laiin" geschrieben.Bislang war mir gar nicht klar,…

Gepostet von Wolfgang Jung am Samstag, 25. Januar 2020

Waren Frauen dabei oder nicht?

Als ich begann, die Geschichten geschlechtergerecht umzuarbeiten, stieß ich auf ein Problem, das ich nicht bedacht hatte: Wie erzähle ich ein Ereignis richtig, wenn ich nicht weiß, ob die – in der Regel – Berichterstatter das generische Maskulinum verwendet haben oder ob tatsächlich keine Frauen dabei waren?

In 1932: Das große Nazi-Verdreschen von Eibelstadt marschieren 150 SA-Männer aus Würzburg den Main hinauf nach Sommerhausen, um dort einen „Deutschen Tag“ zu feiern. Im Eibelstadt machen sie vor der Kirche Halt, halten eine Kundgebung, stören die Gläubigen im vollbesetzten Bethaus und erleben eine Überraschung.

Katholische Eibelstädter, berichten tags darauf die Zeitungen, stürzen aus der Kirche heraus und fallen über die Nazis her. In einer nahen Wirtschaft lassen 70 Würzburger Kommunisten ihren Frühschoppen stehen und stürzen sich in den Kampf. Nazi-Nasen brechten unter den Hieben einer kommunistisch-katholischen Allianz.

In den Zeitungs- und Zeitzeugenberichten ist nur von zuschlagenden Männern die Rede.

Vermutlich aber schlugen auch Frauen zu. Warum sollten sie nicht zuschlagen, wenn Nazis sich breitmachen? Ich kenne Frauen, die zugeschlagen hätten.

Wahrscheinlich gebrauchten die Zeitungen – wie immer – das generische Maskulinum. Wahrscheinlich war ihnen nur die – vermeintlich – männliche Tat der Rede wert.

Das generische Maskulinum ist unpräzise

Aber ich kann nur mutmaßen. Ich weiß nicht, wie die Frauen sich verhielten. Beim Lesen der Berichte habe ich jedenfalls kein Bild von aktiven Frauen im Kopf.

Zum Geschichtenerzählen taugt das generische Maskulinum nicht. Es ist unpräzise.

In der vierten Märzwoche 2020 berichtete ein Main-Post-Redaktionsleiter in einem Videoclip auf YouTube und Facebook, wie die Main-Post-Redaktion in der Rhön in der Corona-Krise agiert. Die „Kollegen“, sagte er, arbeiteten verteilt auf den Reporterstationen. Im Landkreis Rhön-Grabfeld seien das Königshofen und Mellrichstadt, „wo sowieso jeweils nur ein Kollege arbeitet“.

Ich wollte wissen, ob da wirklich nur Männer arbeiten. Nach zweimaligem Nachhaken antwortete er, an diesem Tag hätten „tatsächlich auch zwei Kolleginnen“ im „mobile office der MP-Rhönredaktion“ gearbeitet.

Die Frau als Ausnahme

Entspräche der Wirklichkeit, was er im Videoclip sagt, wären Journalistinnen Ausnahme-Erscheinungen.

Wer das generische Maskulinum gebraucht entwirft eine Welt, in der Männer die Regel und Frauen die Ausnahmen sind.

Ein Kollege, dessen Arbeiten ich sehr schätze, meinte in der Debatte auf Facebook, er teile am Beginn seiner Geschichten mit, dass er immer auch Frauen meine, wenn er von Männern schreibe. Das genüge. (Anmerkung: Tatsächlich tut er das nicht. Ich vermute, er vergisst es.)

Vom Kampf gegen das generische Femininum

1987, während der Aktionen gegen die Volkszählung in der BRD, machte ich ungewollt eine Probe aufs Exempel.

Alle zwei Wochen fand im AKW eine Versammlung der Volkszählungsgegner:innen statt, zu der 200 und mehr Leute kamen. Ich moderierte die Versammlungen und las unter anderem die Ratschläge eines verbündeten Rechtsanwaltes vor.

In den Flugblatt-Texten gebrauchten wir das Binnen-I, wie die taz es tat. Um mir die Mühe zu ersparen, immer etwa von „Boykotteurinnen und Boykotteuren“ zu sprechen, las ich nur das „BoykotteurInnen“ vor und empfahl den Lauschenden, sich das großgeschriebene I zu denken.

An einem der Abende diskutierten wir keine Aktionen gegen die Volkszählung. Wir disktutierten mit erbosten und hitzigen Männern, die sich unterschlagen fühlten.

Wie wenig das generische Maskulinum funktioniert merken wir, wenn wir zum generischen Femininum wechseln.

Geschlechtergerecht und geschlechtergenau

Geschlechtergerecht zu erzählen ist eine politische Entscheidung gegen die männliche Dominanz auf beinah allen Ebenen, wo Männerarbeit höhergeschätzt und bezahlt wird als Frauenarbeit und Männerrollen mit mehr gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Freiheiten konnotiert sind als Frauenrollen.

Darüberhinaus halte ich geschlechtergenaue Sprache wegen des Diktums des präzisen Erzählens für so selbstverständlich, dass mir absurd erscheint, sie auch noch einfordern zu müssen.


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