Friedrich August Freiherr von der Heydte, Dunkelmann

Wie ein Klerikalfaschist und Jura-Professor zu Würzburg die Spiegel-Affäre auslöste und Franz-Josef Strauß erfreute

Am 21. November 1962 erscheint der Spiegel mit dem Würzburger Jura-Professor Friedrich August Freiherr von der Heydte als Aufmacher.

Ende Juni 1962 in Bonn: In der Villa Hammerschmidt kommt Post von der Hardthöhe an, mit außergewöhnlichem Inhalt. Das Verteidigungsministerium des Franz-Josef Strauß bittet Heinrich Lübke, den Bundespräsidenten, den Würzburger Jura-Professor Friedrich August Freiherr von der Heydte zum Brigadegeneral der Reserve zu ernennen.

Lübke zögert, folgt dann aber. Am 22. Oktober nimmt der Würzburger Professor seine Ernennungsurkunde entgegen.

Am selben Tag schickt die Bundesanwaltschaft Anträge zum Bundesgerichtshof, denen tags darauf entsprochen wird: Es gibt Haft- und Durchsuchungsbefehle gegen die Redaktion des Spiegel.

Am 26. Oktober schlagen Bundeskriminalamt und Militärischer Abschirmdienst zu, besetzen die Redaktion, verhaften Redakteure und Freiherr von der Heydte ist zufrieden: Er ist es gewesen, der den größten Medienskandal in der Geschichte der Bundesrepublik ins Rollen gebracht hat. Er hat am 11. Oktober den Spiegel angezeigt, wegen Landesverrates und landesverräterischer Fälschung, begangen in der eben erschienenen Ausgabe 40/1962, mit der Titelgeschichte „Bedingt abwehrbereit“.

Eingesperrt für mühsame Lektüre

Das Magazin hatte sich unter anderem mit strategischen Überlegungen im Verteidigungsministerium auseinandergesetzt. In der Redaktionskonferenz, berichtet der Spiegel im September 2012, wird die aufwendige Geschichte der Redakteure Conrad Ahlers und Hans Schmelz wenig freundlich besprochen: „mühselig, schwer verdaulich, kaum News“. Ahlers selbst habe eingeräumt: „Eine mühsame Lektüre, nur für besonders interessierte Leser verdaulich.“

Doch im Oktober 1962 findet die Geschichte viele „besonders interessierte Leser“. Die Supermächte USA und Sowjetunion treiben die Welt mit der Kuba-Krise an einen Abgrund. Und ausgerechnet jetzt berichtet der Spiegel über massive Probleme der Bundeswehr und über Strauß‘ Atomschlagsfantasien. „Bedingt abwehrbereit“ ist ein neuer Höhepunkt in der „Urfehde“ (Theo Sommer in der Zeit) zwischen dem Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein und Strauß.

Die Kompetenzen des Professors Freiherr von der Heydte

Wie aber konnte Strauß‘ Parteifreund in Würzburg, Freiherr von der Heydte, binnen einer halben Woche beurteilen, ob der Spiegel militärische Geheimnisse ausgeplaudert hat? Dem Stern erklärt er, er sei kompetent als Professor der Rechte, als Direktor des Instituts für Wehrrecht an der Uni Würzburg und „als ranghöchster Reserveoffizier der Bundeswehr“. Der Reporter wittert einen Zusammenhang zwischen Beförderung und Anzeige, Freiherr von der Heydte entgegnet: „Ihre Leser dürfen es nicht damit in Verbindung bringen, dass das sozusagen eine Belohnung war.“

Freiherr von der Heydte ist Fachmann fürs Militärische, keine Frage: ein herausragender Soldat im Zweiten Weltkrieg, befördert bis zum Oberstleutnant, ausgezeichnet mit hohen und höchsten Orden. Erst kämpft er als Panzerjäger in Frankreich, dann als Fallschirmjäger unter anderem auf Kreta, vor Leningrad, bei Al Alamein, bei der Ardennen-Offensive.

Wer (…) zu meinem Regiment kommt, gibt alles andere auf“

Berühmt wird sein Tagesbefehl, ausgegeben vor dem Ardennen-Einsatz, rekonstruiert vom britischen Intelligence Service: „Ich verlange, dass jeder Soldat alle persönlichen Wünsche aufgibt. Wer auf die preußische Fahne schwört, hat nichts mehr, was ihm selber gehört. Wer Fallschirmjäger ist und zu meinem Regiment kommt, gibt alles andere auf. Es gibt in Zukunft nur noch ein Gesetz für ihn – das Gesetz meiner Einheit.“

Der Einsatz missglückt, der Kriegsheld und seine Leute werden gefangen genommen. Der Spiegel berichtet, einige Wochen später hätten sich die Soldaten über ihren vormaligen Chef aufgeregt. Denn Freiherr von der Heydte, der gerade noch nur das Gesetz seiner Einheit kannte, sei flugs ein fleißiger Mitarbeiter der, von den Engländern fabrizierten, Kriegsgefangenenzeitung geworden. Nach dem Krieg erklärte der hochdekorierte Kämpfer, am Widerstand vom 20. Juli 1944 beteiligt gewesen zu sein. In die Wehrmacht sei er eingetreten, um sie von innen zu zersetzen.

Der Kölner Stadt-Anzeiger fragt: „Wie braun ist Würzburg?“

In den frühen 1960er Jahren war Friedrich August Freiherr von der Heydte nur einer von einer Reihe von Würzburgern, die die Presse über die Bundesrepublik hinaus beschäftigten. Oberbürgermeister Helmuth Zimmerer ist erst mit einer mutmaßlichen Korruptionsaffäre, dann mit einer rassistischen Doktorarbeit aufgefallen. Der Nervenarzt Elmar Herterich entlarvte eine Reihe von Nazis in höchsten juristischen Ämtern. Der Kölner Stadt-Anzeiger etwa ging in einer mehrteiligen Serie der Frage nach: „Wie braun ist dieses Würzburg?“ Aber keiner außer Heydte schaffte es auf die Frontseite des „Spiegel“. Die Hamburger widmeten ihm am 21. November 1962 unter der Überschrift „General-Anzeiger“ ihre Titelgeschichte.

Wer war der Mann, der 1954 als Ordinarius für Völkerrecht, Allgemeine Staatslehre, deutsches und bayerisches Staatsrecht und politische Wissenschaften an die Uni Würzburg gekommen ist?

Von der NSDAP in die Abendländische Aktion

Geboren 1907 in München, Spross einer Adelsfamilie; sein Vater war Oberst der Bayerischen Armee. Als Teenager hält er schon Kontakte zu rechtsextremen Organisationen. 1932 promoviert er zum Doktor der Rechts-, 1935 zum Doktor der Staatswissenschaften. 1933 wird er Mitglied der NSDAP und der SA. 1935 kommt er an die Uni Münster.

Einer seiner Studenten ist Peter Nellen. Der erinnert sich später, nunmehr als SPD-Bundestagsabgeordneter, gegenüber dem Spiegel an Freiherr von der Heydtes Staatsrechtskolloquien als „das Übelste, was ich je mitgemacht habe“. In Münster kümmerte er sich um die Nazifizierung des Studentenheims, mit der Drohung einer Meldung an die SS, falls deren Blatt „Schwarzes Korps“ nicht ausgelegt werde.

Nach dem Krieg entwickelt sich Freiherr von der Heydte rasch zu einer der wichtigsten Figuren der katholischen Rechten im Land. 1947 tritt er in die zwei Jahre alte CSU ein, schließt sich auch früh der Abendländischen Aktion an und wird in deren Vorstand gewählt.

„Einheitschristliches Weltbild“ statt „bunter Fülle des westlichen Jahrmarktes“

Die Abendländler sehen, so schreiben sie, „im modernen Vielparteienstaat und in der durch ihn herbeigeführten Vergiftung des öffentlichen Lebens einen Ausdruck neuzeitlicher Willkür“. Zur Lösung des Problems empfehlen sie, „die bunte Fülle des westlichen Jahrmarktes“ durch ein „einheitschristliches Weltbild“ zu ersetzen.

1951 gerät die Abendländische Aktion in den Ruch des Hochverrats. Sie benennt sich um in Abendländische Akademie, Freiherr von derHeydte übernimmt den Vorsitz und weicht nicht ab vom Weg. Der Spiegel zitiert ihn mit Bekenntnissen, die er als Würzburger Professor ablegt: „Wir sind klerikal – und bleiben klerikal, was immer kommen mag.“ Und: „Mit gefährlichen Waffen bekämpfen die Gegner der Kirche die gläubigen Katholiken. Sie kämpfen mit bestimmten Schlagwörtern wie ‚Objektivität‘, ‚Parität‘ und ‚Toleranz‘.“

Vier Bundesminister wollen mit Freiherr von der Heydte die Demokratie beenden

Ein Bundesanwalt prüft, auf Druck des späteren Bundeskanzlers Helmut Schmidt, die Verfassungstreue der Akademie und kommt zu einem Ergebnis, das einen tiefen Einblick in die geistige Verfassung Nachkriegsdeutschlands gibt. Zwar entwürfen die Abendländler „ein Weltbild, das im Falle seiner Verwirklichung zu einer weitgehenden Änderung der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik führen würde“.

Der Akademie gehörten aber einige hoch geachtete Persönlichkeiten an, „in deren Verfassungstreue keine Zweifel gesetzt werden können“. Hintergrund: Vier Bundesminister sind Mitglieder jener Akademie, die, geführt von Heydte, die Demokratie beenden will – Außenminister Heinrich von Brentano, Justizminister Heinrich von Merkatz, Vertriebenenminister Theodor Oberländer und Familienminister Franz-Josef Wuermeling

Das Grundgesetz als Verrat am Christentum

1949 lehnt Freiherr von der Heydte das Grundgesetz ab – auch die CSU und die Bayernpartei wollen es nicht. Er schreibt, die Bonner Verfassung wolle, „so scheint es, weltanschaulich neutral sein. Doch es gibt keine weltanschaulich-neutrale Verfassung. Eine weltanschaulich-neutrale Verfassung ist immer eine Verfassung, die das Christentum verrät.“

Als das Grundgesetz beschlossene Sache ist, hält er unverdrossen dagegen: „Die Berufung auf Gott in der Präambel ist das Einzige, was in der Verfassung von Bonn an den erinnert, von dem im letzten Grunde alles Recht ausgeht. Diese Berufung auf Gott erinnert an das Gebet des Taschendiebs vor dem Diebstahl um das Gelingen seiner Tat!“

Katholischer Geist für die Armeen

Als klar wird, dass die Bundesrepublik 1955 die Bundeswehr einrichtet, fordert Freiherr von der Heydte Spiegel, Zeit und anderen zufolge die Aufstellung von Freiwilligen-Kadern aus jungen Katholiken, um die Armeen „mit katholischem Geist zu erfüllen“. Später, als die Einführung der Wehrpflicht feststeht, regt er an, die Bundeswehr in evangelische und katholische Divisionen aufzuteilen.

Er sympathisiert offen mit den klerikal-faschistischen Regimes der Diktatoren Franco in Spanien und Salazar in Portugal, später auch mit der Militärjunta in Griechenland. Den portugiesischen Ständestaat hält er für „ein Verfassungsexperiment, das versucht zu haben schon eine Leistung bedeutet“.

Wie der Spiegel beschäftigt sich auch die Frankfurter Rundschau (FR) im November 1962 mit dem umtriebigen Würzburger. Unter anderem geht sie der Frage nach, was Freiherr von der Heydte zur Anzeige gegen den Spiegel bewogen haben könnte.

Streben nach einem „autoritären Ständestaat klerikal-faschistischer Observanz“?

Sie schreibt, niemand wisse genau, „ob Reserveoberst von der Heydte, der gerade eben zum ersten Reservegeneral der Bundeswehr befördert worden ist, einen Bewährungsauftrag darin sah, einige ,erzählende‘ ,Spiegel‘-Redakteure und ,ausplaudernde‘ Offizierskameraden nach Möglichkeit ins Zuchthaus zu bringen“. Er sei schon früher dabei gewesen, „wenn es in der Bundesrepublik darum ging, gegen Demokratie und Pressefreiheit zu Felde zu ziehen“ und habe sich „zur Bekämpfung der Freiheit“ mit „gleichen Geistern“ zusammengetan.

Die Abendländer um Freiherr von der Heydte strebten „die Ablösung der im Grundgesetz der Bundesrepublik verankerten parlamentarischen Demokratie durch einen autoritären Ständestaat klerikal-faschistischer Observanz“ an.

Wohlwollende Unterstützung verfassungsfeindlicher Gedanken

Freiherr von der Heydte verklagt die FR und verliert. Die Zivilkammer des Würzburger Landgerichts zeigt sich in ihrem Urteil sicher, dass er als Vorstandsmitglied der Abendländischen Aktion deren „verfassungsfeindliche Gedanken (. . .) zumindest wohlwollend“ unterstützt habe.

Und von einem „Ordinarius für Staatsrecht“ könne „doch sicherlich angenommen werden, dass es (ihm) bewusst war“, dass sich deren Programm „nicht in allen Punkten in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz befindet“. Für unausweichlich hält die Kammer die Frage, was ihn zur Anzeige gegen den „Spiegel“ qualifiziert und legitimiert hat.

Die Erkenntnis des Gerichts: „Es ist wohl erklärlich, dass auch nicht unbedingt ehrenhafte Motive in Betracht gezogen wurden, da ausgerechnet ein Privatmann (. . .) – und nicht die mit Landesverrat befassten staatlichen Stellen – Anlass zum Vorgehen gegen den ‚Spiegel‘ war.“

Und dann für die CSU in den Landtag

All das schadet Freiherr von der Heydte nicht. 1966 zieht er für vier Jahre für die CSU in den Landtag ein. Zu dieser Zeit dient das von ihm geleitete Institut für Staatslehre und Politik in Würzburg schon als Geldwaschanlage für Parteispenden an die Unionsparteien und die FDP. So taucht er in den 80er Jahren wieder in den Medien auf, als eine der zentralen Figuren in der Flick-Affäre.

Freiherr von der Heydte stirbt 1994 in Landshut, im Alter von 87 Jahren.

Literaturtipp

Kroll, Gerhard: Grundlagen Abendländischer Erneuerung. Das Manifest der Abendländischen Aktion. Verlag Neues Abendland, München, 1951


Guter Journalismus kostet Geld!

Sie müssen nichts für meine Arbeit zahlen. Aber Sie können, wenn sie Ihnen etwas wert ist. Damit ermöglichen Sie mir das Weitermachen. Sie ermöglichen aber vor allem armen Leuten, die sich den Erwerb dieser Informationen nicht leisten könnten, die gesellschaftliche Teilhabe.

Wenn Sie hoch scrollen finden Sie rechts den Button „Spenden“.

Wollen Sie mit Paypal nichts zu tun haben? Schreiben Sie an post@schreibdasauf.info. Ich helfe Ihnen dann schon weiter.

Schreibe einen Kommentar