Gerda Laufer und das ganze rote Leben

Wie eine Wirtstochter aus dem sozialdemokratischen Milieu von Würzburg die große Frau der SPD in Unterfranken wurde

Gerda Laufer. (Foto: Walter Röder/Main-Post)

Würzburg nach dem Zweiten Weltkrieg, im Jahr 1945: Die Nazis und ihre Mitläufer haben das Unheil angerichtet; wer überlebt hat, räumt auf. Die Würzburger:innen schaffen Schutt fort, beerdigen Leichen, ernähren in den Ruinen Familien und erziehen Kinder. Sie schaufeln, karren und hämmern in der verbrannten Stadt.

Eine der Trümmerfrauen mit der Schaufel in der Hand ist Gerda Laufer, geboren 1910 im Mainviertel. Viele Jahre später werden Redner sie loben und preisen als eine der bedeutendsten Politikerinnen in der Geschichte der Stadt. Sie ist schon zu Lebzeiten ein Vorbild, eine Ikone der Würzburger Sozialdemokraten.

Aufgewachsen unter Fischern und Sandschöpfern

Sie ist die älteste von drei Töchtern der Wirtsleute Kohler, ihr Zuhause ist die Gaststätte Wilder Mann in der Zeller Straße 33. 1929 tritt sie, 19-jährig, zwei Jahre nach dem Tod ihres Vaters, in die SPD ein, der auch ihr Vater angehörte. Sie gehört nicht zur damals klassischen SPD-Klientel, der Arbeiterschaft. Wirt:innen sind Chef:innen, wirtschaftlich geht es den Kohlers nicht schlecht. Aber die Speisekarte von Gerdas Mutter Babette lockt die Arbeiter ins Haus: Ein Mittagessen mit Suppe für eine Mark ist erschwinglich für die Mainviertler:innen, Fischer und Sandschöpfer. Gerdas Vater, kriegsversehrt, beschenkt Kriegswaisen zu Weihnachten mit Backwerk und Obst.

Hier, vermutete der Historiker Werner Dettelbacher, habe „Gerda wohl gelernt, dass es immer wieder Leute gibt, denen es schlecht geht und denen man helfen muss“.

Das ganze Leben ist rot

Das Mädchen wächst im sozialdemokratischen Milieu auf. Naturfreunde, Arbeitersportbund, die Jugendorganisation Die Falken, Arbeiterwohlfahrt, Arbeiter-Samariter-Bund, Gewerkschaften – das ganze Leben ist rot. 50 Jahre nach ihrem Eintritt in die SPD berichtete sie in einem Gespräch mit dem Bayerischen Rundfunk (BR), eine andere Partei als die sozialdemokratische sei für sie nie in Frage gekommen.

Am Ende ihrer Tage, 70 Jahre nach ihrem Eintritt in die SPD, ist Gerda Laufer Stadträtin, Bezirksrätin und Landtagsabgeordnete gewesen. Sie hat die unterfränkische Arbeiterwohlfahrt aufgebaut und 20 Jahre lang deren Geschäfte geführt. Sie ist Vorsitzende der Gesellschaft für politische Bildung gewesen, Vorsitzende der SPD-Landesfrauenarbeitsgemeinschaft in Bayern, Rundfunkrätin, SPD-Kreisvorsitzende, Mitglied des Bundes-Parteirates der SPD.

„Ich schwitz‘ immer so furchtbar, und in den ersten fünf Minuten habe ich immer so fürchterliche Angst, wenn ich reden muss.“

Gerda Laufer

Da ist Kurt Schumacher, 1,85 Meter groß, der Westpreuße, ein Märtyrer unter den Sozialdemokraten. Im Ersten Weltkrieg schwer verwundet, dann im Nazi-KZ knapp überlebt, schließlich, bis zu seinem Tod 1952, SPD-Parteivorsitzender.

Und da ist Gerda Laufer, mehr als einen Kopf kleiner: Sie bewundert ihn, hält ihn für den „Mann, der über allen steht“. Sie hat eine große Zukunft, aber auch Angst, wenn sie ein Mikrofon vor der Nase hat. Also geht sie mit ihrer Not zu Schumacher und beichtet: „Ich schwitz‘ immer so furchtbar, und in den ersten fünf Minuten habe ich immer so fürchterliche Angst, wenn ich reden muss.“ Schumacher aber antwortet väterlich: „Wenn du nicht mehr schwitzt und keine Angst mehr hast, dann hör auf, Politik zu machen.“ Laufer hat diese Geschichte sehr stolz erzählt.

Kampf gegen die Prügelstrafe

Sie brachte ihr eigenes Kreuz mit in die Politik: Sie war, sagt Hans Werner Loew, der 1974 ihre Nachfolge im Landtag antrat, „eine zweifellos kluge Frau“, ausgebildet zur Verkäuferin. Die Erkenntnis, „wie viele Bildungsreserven unser Volk brach liegen lässt“, habe sie zu einer leidenschaftlichen Bildungs- und Sozialpolitikerin gemacht. Loew beschreibt sie als Vorkämpferin: Sie habe sich dafür eingesetzt, dass die Leute ihre Kinder auf bessere Schulen mit höheren Bildungsabschlüssen schicken. Laufer kämpfte für eine humane Schule, gegen die Prügelstrafe, für das Angleichen des bayerischen an Normen der europäischen Bildungssysteme.

„Sie hat gewusst, dass manchmal bei einigen Schoppen Frankenwein mehr erreicht wird als in den wildesten Debatten.“

Volkmar Gabert (1923 bis 2003), SPD-Fraktionsvorsitzender im Landtag

Loew schildert Laufer als Energiebündel, charmant, zielstrebig, durchsetzungsfähig. Sie sei nie aus der Haut gefahren, habe aber mit „sehr fein ausgestattetem Instrumentarium erkennen lassen, wann ihre Zustimmung endet“. Volkmar Gabert, ihr Fraktionschef im Landtag, schrieb über sie, sie habe gewusst, „dass manchmal bei einigen Schoppen Frankenwein mehr erreicht wird als in den wildesten Debatten“. Und: „Sie hat eine Art zu den Menschen zu reden, die sehr volkstümlich ist.“

Nazi-Gegner im Wilden Mann

Als junge Frau sieht sie die Nazis durch Würzburg marschieren und hat, erzählte sie dem BR, „wahnsinnige Angst vor einer Diktatur“ . Der Wilde Mann wird zu einem Nest der Nazi-Gegner, Gestapo-Spitzel spähen sie aus. Gerda muss sich mehrmals bei der Geheimen Staatspolizei melden, es gibt Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen. Gerda und ihre Freunde, unter ihnen Josef Kern, der spätere Chef des Überlandwerks Unterfranken, weichen ins Naturfreundehaus aus oder unternehmen lange Spaziergänge, um den Lauscher:innen zu entgehen.

Der Zweite Weltkrieg ist vorüber, die Alliierten haben die Welt von den Nazis befreit, die Sozialdemokrat:innen bauen ihre Partei wieder auf. Gerda und ihre Schwestern Irmgard und Magda fahren auf Rädern landauf, landab durchs Unterfränkische und sammeln die Mitgliederbeiträge bei den Genoss:innen ein. Gerda ist tüchtig und fällt auf. Die SPD schickt sie in den von der US-Army eingesetzten Stadtbeirat. Kein Genosse mag den Parteisekretär machen, sie glaubte, „das war denen zu wenig, da hat sich jeder dagegen gewehrt“. Gerda ist sich nicht zu schade und wird die einzige Parteisekretärin im Bundesgebiet. Sie erledigt harte Arbeit, ist Tag und Nacht unterwegs, vom unterfränkischen Süden bis in die Hohe Rhön, organisiert den Wiederaufbau der SPD und ist erfolgreich.

„… dann ist die ganze Kraft gebraucht und verbraucht“

Die Nachkriegsjahre seien ihre glücklichste Zeit gewesen, sagte sie als 70-Jährige, weil sie unmittelbar helfen konnte. Sie hat keine Scheu vor den Leuten, im Gegenteil: „Ich habe mir also bei Kellerbesuchen und in Unterkünften, die unter allen heute vorstellbaren Möglichkeiten waren, fünfmal die Krätze geholt, das hat mir aber gar nichts ausgemacht.“ Die Würzburger vergessen ihr das nicht. Sie wählen sie 1946 in den Stadtrat und 1954 in den Landtag. 1956 scheidet Laufer aus dem Stadtrat aus, 1974 aus dem Landtag. 1972 kandidiert sie wieder für den Stadtrat und erhält unter allen Kandidaten die meisten Stimmen. Die SPD kommt auf 20 Sitze, die CSU hat nur vier Sitze mehr. So nah kam die SPD in Würzburg nie mehr den Christsozialen. Laufers Sprechstunden sind oft überfüllt, die Würzburger vertrauen ihr über die Parteigrenzen hinweg.

Ganz im Reinen war die zweifache Mutter allerdings nie mit sich. Wenn man Politik richtig ausübe, „dann ist die ganze Kraft gebraucht und verbraucht“. Ihren Kindern gegenüber hatte sie „ein furchtbar schlechtes Gewissen“. Sie glaubte im Alter, ihnen trotzdem viel gegeben zu haben, „aber auch viel genommen.“

Die Würzburger:innen, die Bayer:innen und die SPD haben sie mit Ehrungen, Orden und Auszeichnungen überhäuft. Am liebsten, erzählte sie, sei ihr von ihren Orden der „Till von Franken“ – ein Faschingstitel.

Gerda Laufer stirbt im November 1999, wenige Wochen vor ihrem 90. Geburtstag.

Literaturtipp

Loew, Hans Werner/Schönhoven, Klaus: Würzburgs Sozialdemokraten. Vom Arbeiterverein zur Sozialdemokratischen Volkspartei. 1868-1978. Erschienen 1978 im Verlag Stürtz, Würzburg.


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