Meine Traumfrau

Brunnen am Dorfplatz von Labeaume in der Provence. (Foto: Wolfgang Jung)

Meine Traumfrau ist alt und faltig und geht ein bisschen gebückt. Sie geht langsam und in kleinen Schritten, und ich gehe neben ihr und ich bin auch alt und faltig und ein bisschen gebückt, und ich kann auch nur noch in kleinen und langsamen Schritten gehen.

Meine Traumfrau und ich haben viel miteinander erlebt, haben alles miteinander geteilt und sind einander so vertraut, wie zwei Menschen nur einander vertraut sein können. Wir gehen eng aneinandergeschmiegt und wissen nicht, wer von uns beiden den anderen stützt. Wir sehen etwas Schönes und freuen uns beide gleich und doppelt: Wir erfreuen uns am Schönen und freuen uns, weil der andere sich freut.

Meine Traumfrau ist so, dass der Gedanke mir weh tut, ihr könnte es nicht gut gehen.

Meine Traumfrau ist eine Frau, die mit mir ihre Schmerzen teilt und ihre Wünsche und Träume und Hoffnungen und Freuden. Meine Traumfrau erzählt mir Geschichten, und ich vergesse, dass das Geschichten sind und ich lebe in ihnen und mit ihnen.

Ich rieche meine Traumfrau, wenn sie nicht da ist. Ich höre ihr Lachen, wenn sie nicht da ist. Ich fühle ihre Haut, obwohl ich sie nicht berühre. Mein Herz geht auf, wenn ihr Herz aufgeht. Ich kann mit meinen Sinnen ihre Sinne spüren und kann fühlen, wie sie fühlt. Ich habe Lust auf meine Traumfrau, ich werde nicht satt von ihr, in keiner Weise.

Und wenn ich eines Tages alt und klapprig bin und aufwache an der Seite meiner Traumfrau und sie wacht nicht mehr auf, dann bin ich traurig, weil sie nicht mehr ist und weil sie ihr Leben verloren hat. Sie hatte doch nur dieses eine.

Und ich bin traurig, weil der Spiegel meiner Liebe stumpf geworden ist.

Und dann nehme ich meine tote Traumfrau und lege sie an meine Brust, wo sie sich immer angeschmiegt hat, wenn wir zärtlich zusammen waren. So wird sie liegen, und ich werde sie streicheln und ihr traurige Zärtlichkeiten zuflüstern und meine Tränen fließen wie kleine Bäche zwischen ihren Falten.

Und dann werde ich um mich weinen, weil ich sie verloren habe und dann werde ich ins Nachtschränkchen langen und mir die Tabletten herausholen, die machen können, dass ich nicht alleine bleibe.

So ist das mit Dir, meine Traumfrau, und das liegt alles noch vor uns, jeden Tag, immer aufs Neue: das Entdecken, der Liebesrausch, das Vertraut-Werden, das Immer-Inniger-Werden, das Verzehren, das Verschmelzen; von allem immer mehr, immer intensiver, je älter wir werden.


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