Das Beste, was einem auf Reisen widerfahren kann, ist das Schöne, mit dem man im Traum nicht rechnet
Theodor Berchem, der frühere Präsident der Uni Würzburg, spricht rund zwei Dutzend Sprachen. Ich hörte ihn einmal davon träumen, alle Sprachen der Welt zu sprechen. Dann, sagte er, würde er die Weisheiten der ganzen Menschheit kennen. Was für ein großer, schöner Traum.
Im September 2007 kam ich weit nach Mitternacht mit dem Bus aus Portugal in Sevilla an.
Ich suchte eine Bleibe und landete in einem winkligen Gässchen an der Rezeption einer Pension. Ein alter Herr stand hinter dem Tresen und bewillkommte mich freundlich.
Er sprach Spanisch – das spreche ich nicht. Er gestikulierte und grimassierte und offensichtlich war, dass ein Problem steht zwischen mir und meinem Einzug. Wir verstanden einander nicht und kamen nicht zusammen.
Ein Spanisch sprechender Franzose, Gast der Pension, kam herein, versuchte zu übersetzen, aber ich spreche auch kein Französisch und er kein Deutsch und kein Englisch.
Es war schon 2 Uhr durch und ich war wirklich müde nach der Reise und hätte mich so gerne in ein Bett gelegt.
Ein russischer Gast kam dazu, der sprach Französisch und wusste nun auch, was den alten Herrn plagte. Weil aber auch er nicht Englisch und nicht Deutsch sprach, blieb es das Geheimnis der drei.
Im Quartett kauderwelschten wir – der Spanier, der Franzose, der Russe und der Deutsche – und verhandelten mit Händen und Füßen und lachten uns scheckig, aber ich verstand ums Verrecken nicht, was sie mir sagen wollten.
Im September bullert Sevilla auch in der Nacht noch heiß wie ein Ofen; bei 30 Grad schläft man nicht gut, auf den Straßen ist lange was los. Und so traten in dieser Nacht weitere Leute an den Tresen. Ein US-amerikanisches Ehepaar, das, so stellte sich heraus, in den Sechzigerjahren aus der Sowjetunion nach New York emigriert ist, wollte seinen Zimmerschlüssel haben.
Que suerte! Diese beiden machten die spanisch-französisch-russisch-englische Sprachkette perfekt, jetzt verstanden wir endlich alle einander.
Und dies war das Problem: Ich wollte eine Woche bleiben, der alte Herr aber hatte nur für zwei Nächte ein Zimmer mit einem großen Bett.
Das Zimmer war einfach, es gefiel mir. Es lag im ersten Stock, hatte einen kleinen Balkon, die Straße darunter war geschäftig, aber ruhig, den Mini-Mercado um die Ecke hatte ich während meiner Herbergssuche schon gesehen und überraschend günstig war es auch. Ich blieb.
Am dritten Tag bezog ich ein Zimmerchen im dritten Stock. Tageslicht gab es keines. Ein Fenster verband das Zimmerchen mit einem breiten Schacht, der von der Rezeption hoch unters Dach führte. Das Bett war schmal. Bei geschlossenem Fenster war die Luft heiß und stickig, bei offenem Fenster hörte ich die großen Waschmaschinen und Wäschetrockner hinter der Rezeption rauschen. Der Duft von Waschmittel und Weichspüler füllte den Raum.
Eine Nacht lang wollte ich es probieren. Aber kaum war ich gelegen wusste ich schon: Morgen, gleich nach dem Frühstück, suche ich mir eine behaglichere Bleibe.
Dann versuchte ich zu schlafen. Aber zwischen der tiefsten Nacht und der Dämmerung, als alles still war, vertrieb der alte Herr an der Rezeption sich die Langeweile mit dem Singen melancholischer Lieder.
Ich machte kein Auge zu.
So hinreißend schöne, alte, herzschmelzende Lieder! So eine brüchige, alte, schöne Stimme!
Ich ließ das Fenster zum Schacht geöffnet. Ich hätte mir die Nacht kaum schöner wünschen können.
Und bin dann doch die ganze Woche lang geblieben.
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