Albrecht Becker, schwul unter Nazis

Wie ein Schneider, der Männer liebte, das braune Würzburg überstand und ein Großer des deutschen Films wurde

Albrecht Becker, schwul unter Nazis
Albrecht Becker, um 1930 in Würzburg. (Foto: Gustav Becker)

Albrecht Becker, eine der schillernden Figuren des deutschen Nachkriegsfilms, lebte von 1924 bis 1947 in Würzburg.

Er kam am 14. November 1906 in Thale, einer preußischen Kleinstadt im Harz zur Welt. Sein Vater, erzählt er, war Bäcker,  „trocken und steif, durch und durch deutsch“. Seine Mutter war anders, temperamentvoller. Der kleine Albrecht geriet nach ihr.

Der Historiker Josef Friedrich Abert holt ihn 1924 nach Würzburg. Die beiden hatten während einer Reise an den Neckar kennengelernt. Abert, nach seinem Tod 1979 von der Main-Post als „Grandsigneur und einer der besten Kenner der Würzburger Lokalgeschichte“ gewürdigt, Jahrgang 1879, war im 1. Weltkrieg Hauptmann, kämpfte später gegen die Revolutionsräte in Würzburg und gegen die Münchner Räterepublik. Becker erzählt in seiner Autobiografie „Fotos sind mein Leben“, dass Abert seine „erste wichtige Lebensbeziehung“ war. Über zehn Jahre lang sind die Männer ein Paar.

Am 4. September 1924 fängt Becker bei Rom & Wagner, einem großen Modekaufhaus in der Nähe der Residenz, als Textilwarenhändler und Schneider an. Zum Verkäufer taugt er nicht. Seine Chefs lassen ihn die Schaufenster dekorieren, Becker macht das ausgezeichnet.

Keine Lust auf Sport. Nur auf Sportler.

Bereits im Elternhaus hatte er seine Liebe zum Theater und zum Fotografieren entdeckt. In Würzburg entdeckt er sein Talent zum Zeichnen. Er geht bei Heiner Dikreiter, dem späteren Gründer der Städtischen Galerie, an der Mal- und Zeichenschule des Polytechnischen Zentralvereins in eine künstlerische Ausbildung. Drei Jahre später bricht er ab, er hat genug gelernt. Später, als Filmarchitekt, entwirft Becker Kulissen am Zeichentisch. Von ihm sind auch Zeichnungen von den Ruinen nach der Zerstörung Würzburgs am 16. März 1945 erhalten.

In den 20er Jahren tritt er in die TGW und in den Würzburger Ruderverein ein. Seine Begeisterung für den Sport ist eher bescheiden, schreibt er, „es waren vor allem die Sportler, die mich faszinierten.“ Er fotografiert sie, fängt aber keine Liebeleien an.

Becker kleidet sich nach dem neuesten Chic, lebt sonst aber sparsam, um ausgedehnte Urlaubsreisen ins Ausland unternehmen zu können. „Auch wenn es mir in Würzburg gefiel, brauchte ich die Begegnung mit dem Fremden“, erzählt er. Seine Kamera nimmt er immer mit.

Der gut aussehende junge Mann hat zahlreiche Affären. Seine Aufenthalte in Spanien, Frankreich, Italien, England und USA geben ihm weltmännischen Schliff.

Die Liebe unter Männern bedroht das Nazi-Reich

Becker beschreibt sich als politisch indifferent. Die Machtergreifung Hitlers im Jahr 1933 „hat für mich keinen Einschnitt bedeutet“.

Am 3. Januar 1935 verhaftet ihn die Politische Polizei. Das trifft ihn völlig unvorbereitet. Becker: „Ich wusste zwar, dass Homosexualität mit Strafe bedroht war, aber da meine Freunde offensichtlich keine Angst hatten, fühlte ich mich völlig geborgen. In den Verhören wurde ich auf einmal mit einer Argumentation konfrontiert, die völlig neu für mich war. Homosexualität zersetze die Grundlagen eines Volkes, zerstöre den Staat, erzählten sie mir. Und ich habe den Gestapo-Leuten das abgenommen, simpel wie ich war. Ich habe am Ende völlig eingesehen, dass ich für meine Vergehen bestraft werden musste, und habe mich in meinem Prozess auch schuldig bekannt. Ich wollte nicht, dass das Deutsche Reich zusammenbricht, nur weil ich schwul war.“

Er wird zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, die er in Nürnberg absitzt. 1938 kommt er zurück nach Würzburg, Rom & Wagner, seine alte Firma, stellt ihn wieder ein. Becker macht die deprimierende Erfahrung, dass ihn jetzt viele der Schwulen meiden, die er von früher kennt. Aus den Sportvereinen war er schon 1935 rausgeflogen, als seine Verurteilung bekannt wurde.

Becker folgt den Männern in den Krieg

1939 mustert ihn die Wehrmacht und stellt ihn zurück, weil er mit 33 Jahren zu alt ist. 1940 meldete er sich freiwillig in den Krieg, „weil mir Würzburg so ganz ohne Männer einfach zu langweilig war“. Becker wird Funker. Er geht mit auf den Russland-Feldzug. Er hat Glück. Seine Einheit bleibt hinter der Kampflinie stationiert. Er genießt zwar die Kameradschaft, aber kriegerisch ist er nicht. Die Russen, schreibt er, „waren genauso arme Schweine wie wir und überhaupt nicht interessiert am Krieg“.

Im August 1944 trifft ihn ein Granatsplitter in den Arm, „schon schlimm und schmerzhaft, aber ungefährlich“, ein „Heimatschuss“.

Im gleichen Jahr, wieder in Würzburg, lernt Becker in einer Kneipe den fünf Jahre jüngeren Filmarchitekten Herbert Kirchhoff kennen. Der arbeitet gerade an einem Durchhaltefilm, der in der Stadt gedreht wird: „Kamerad Hedwig“, mit Luise Ulrich in der Hauptrolle.

Der Film wird nie fertig, doch Kirchhoff und Becker kommen sich näher. Es funkt nicht auf Anhieb, aber dann „war eine große Liebe zwischen Kirchhoff und mir, die fünf, sechs Jahre gedauert hat“, berichtete Becker in einem Interview mit dem Journalisten und Autor Christoph Winkler. Später wandelt sich der Liebhaber Kirchhoff zur Vaterfigur für Becker.

Hinter den Kulissen wird Becker ein Star

Kirchhoff findet Arbeit in Hamburg. Becker folgt ihm 1947, der Freund besorgt ihm einen Job beim Film. Sie arbeiten fast 15 Jahre lang zusammen. Drei Jahre lang ist Becker Kirchhoffs Assistent, dann sein Mitarbeiter, schließlich werden sie ein gleichberechtigten Team.

Die beiden arbeiten mit den großen Stars des deutschen Films und werden hinter den Kulissen selber welche. Gemeinsam gewinnen sie für ihre Bauten die deutschen Filmpreise 1957 (für „Hauptmann von Köpenick“, Regie: Helmut Käutner, in der Hauptrolle Heinz Rühmann) und 1961 (für „Das Glas Wasser“, Regie: Helmut Käutner, Hauptrollen: Gustaf Gründgens, Liselotte Pulver).

Über 60 Kinofilme statten sie gemeinsam aus, viele Kassenknüller sind dabei, zum Beispiel die „Zürcher Verlobung“ (mit Lilo Pulver und Paul Hubschmid), „Des Teufels General“ (mit Curd Jürgens) und „Der Rest ist Schweigen“ (mit Hardy Krüger).

Bis 1962 arbeiten sie gemeinsam, dann gehen sie beruflich getrennte Wege. Becker macht 1982 seinen letzten Job als Filmarchitekt. Im gleichen Jahr beginnt er mit der Betreuung der „Jeunesse musicale“ in Weikersheim als Fotograf, Dekorateur, Requisiteur, Dokumentarist und Sponsor.

Kirchhoff holt Becker jahrelang von Weikersheim ab, um gemeinsam mit ihm in den Urlaub zu fahren. „Die letzten Jahre unseres Zusammenlebens haben wir sehr intensiv miteinander verbracht“, erinnert sich Becker. Ihre letzte Reise geht in die Toscana. Am Lago Maggiore ist Kirchhoff 1988 gestorben. Becker starb 22. April 2002.

Der Film und die Liebe haben Beckers Leben geprägt. Er hat seinen und Kirchhoffs künstlerischen Nachlass an die Stiftung Deutsche Kinemathek in Berlin gegeben. Ihr privater Nachlass, Beckers erotische Fotos, Briefe und Privatdokumente liegen im Schwulen Museum Berlin.

Literaturtipp

Sternweiler, Andreas (Herausgeber), Fotos sind mein Leben: Albrecht Becker, Verlag Rosa Winkel, Berlin 1993

Winkler, Christoph/von Rauch, Johanna (Herausgeber), Tanzende Sterne und nasser Asphalt. Dölling und Galitz Verlag, Hamburg 2001


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