Hans Beheim, der Pauker von Niklashausen

Wie der Propaganda-Apparat des Bischofs von Würzburg aus einem Pauker und Prediger einen Pfeifer gemacht hat.

Bericht über Hans Beheim in der Schedelschen Weltchronik von 1493.

Anno 1458 wurde in Helmstadt bei Würzburg Hans Beheim (oder Böheim oder Böhm) geboren – wahrscheinlich; womöglich kam er früher zur Welt, vielleicht auch später, sicher weiß man das nicht. Er ist als „Pfeiferhannes von Niklaushausen“ unsterblich geworden. Dabei war er gar kein Pfeifer.

Gewiss ist, dass er am Abend des 19. Juli 1476 tot war, bei lebendigem Leib verbrannt auf einem Würzburger Scheiterhaufen. Ein rotberockter Henker hat seine Asche im Main ausgestreut, dem Befehl des Bischofs Rudolf von Scherenberg folgend: Keine Spur sollte auf Erden bleiben von dem jungen Mann aus dem Taubertal. Mit dem Leib sollten auch die Ideen des Beheim verbrannt sein, die der Bischof aus Berichten seiner Spitzel kannte.

Der Prediger will Fürsten für einen Tageslohn arbeiten sehen

Der Journalist und Autor Carlheinz Gräter, zitierte in seinem 1975 erschienen Buch „Der Bauernkrieg in Franken“ aus diesen Berichten.

Demnach hat Beheim vor einer unüberschaubar großen Menge unter anderem gepredigt, „die Geistlichen haben viel Pfründ, das soll nicht sein“. Sie „werden erschlagen, und bald wird es dazu kommen, dass der Priester seine Platte gern mit der Hand bedecken möchte, damit man ihn nicht erkennt“. Oder: „Wenn die Fürsten, geistlich und weltlich, auch Grafen und Ritter so viel hätten wie der gemein Mann, so hätten wir alle gleich genug, was dann geschehen soll.“ Und es komme „dazu, dass die Fürsten und Herrn noch um einen Taglohn müssen arbeiten“.

Friedrich Engels weiß Bescheid. Vielleicht

Was für ein Skandal! Was für ein Affront gegen Klerus und Adel, die sich von Gott in Amt und Reichtümer gesetzt fühlten! Und wie praktisch für die Nachgeborenen, die aus der Geschichte des Beheim machten, was ihren eigenen Ideen taugte.

Wir lesen in Der deutsche Bauernkrieg, geschrieben 1850 von einem Urväterchen des Kommunismus: Friedrich Engels. „Ein junger Hirte und Musikant, Hans Böheim von Niklashausen, auch Pauker oder Pfeiferhänslein genannt, trat plötzlich im Taubergrund als Prophet auf. Er erzählte, die Jungfrau Maria sei ihm erschienen; sie habe ihm geboten, seine Pauke zu verbrennen, dem Tanz und den sündigen Wollüsten nicht ferner zu dienen, sondern das Volk zur Buße zu ermahnen. So solle denn jeder von seinen Sünden und von der eitlen Lust dieser Welt ablassen, um die Vergebung seiner Sünden zu erlangen.“

Ludwig Bechsteins Deutsches Sagenbuch, erschienen 1930, malt ein anderes, garstiges Bild: „Nicht weit von Wertheim liegt Niklashausen, ein Dorf an der Tauber, darin hat sich Jahre 1476 ein Hirte und Paukenschläger erhoben und einen Aufruhr angezettelt, den der Teufel nicht schöner hätte einfädeln können.“ Ein „unsauberer zottelhaariger Knabe“ sei Beheim gewesen, auch ein „loser Geselle“ und „Kommunismusprediger“, mit einem „dreckigen Anhang“. Wenn er gesprochen habe, „schienen viele Männer und Frauen Lust zu haben, gleich Adamstänzer zu werden vor lauter Zerknirschung und Gemeinheitstrieb, und zogen sich bis aufs Hemde aus; wenn aber das Getös und der Wein ihnen aus den Köpfen kam, hätten sie gern ihre Kleider wiedergehabt.“

Hans Beheim muss etwas Packendes gehabt haben

Engels dagegen fand „bei jenem ersten Vorläufer“ der Bauernbewegung „jenen Asketismus, den wir bei allen mittelalterlichen Aufständen mit religiöser Färbung und in der neueren Zeit im Anfang jeder proletarischen Bewegung antreffen.“ Er beschreibt „diese asketische Sittenstrenge, diese Forderung der Lossagung von allen Lebensgenüssen und Vergnügungen“ als eine „notwendige Durchgangsstufe“, damit die unterste Schicht der Gesellschaft „revolutionäre Energie“ entwickle.

Ein Artikel in Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, beschreibt den Beheim folgendermaßen: „Etwas die Menge Packendes und Hinreißendes muss in seinem ganzen Auftreten gelegen haben. Aber keine neuen, schöpferischen Ideen enthielten seine Vorträge“, er habe nur fremden Einflüsterungen gehorcht. Nämlich „der Pfarrer von Niklashausen stand hinter dem schwärmerischen Jüngling aus Gewinnsucht, ob der reichen Opfer, die er bei den Predigten Böhms für seine Wallfahrtskirche zu erwarten hatte“.

Was war er nun? Ein Revolutionär? Ein Wegbereiter der Bauernkriege von 1524/25? Oder ein redegewandter Tunichtgut? Das ahnungslose Werkzeug Dritter?

Das Laster als Privileg der Priester

Den Leuten saß zu Beheims Zeiten noch die Aufregung in den Knochen, die der tschechische Kirchenreformer Jan Huss (geboren um 1370, auf dem Scheiterhaufen verbrannt 1415) ausgelöst hatte. Huss hatte Jesus Christus, nicht aber den Papst als Oberhaupt der Kirche genannt, und war gegen den Klerus angetreten: „Die Priester predigen wohl gegen unsere Unzucht und unsere Laster“, klagte er, „aber von den ihrigen sagen sie nichts, also ist es entweder keine Sünde, oder sie wollen das Privilegium haben“.

Beheim war wohl ein Nachfahr von Huss-Anhängern, den Hussiten, die ins Fränkische geflohen waren. Wie weit er sich dessen bewusst war, ist unbekannt. Unwahrscheinlich ist dass er viel wusste. Beheim war ein ungebildeter Hirte, aufs Lesen und Schreiben verstand er sich nicht.

Aber reden konnte er. Die Internet-Enzyklopädie Wikipedia lässt wissen, „seine Predigten trafen die Seelenlage des Volkes“. Zehntausende sollen nach Niklashausen gewallfahrt sein, um ihm zu lauschen und ihn als „Heiligen Jüngling“ oder „Propheten“ zu verehren.

Kein Revolutionär. Ein Messias

Rainer Werner Fassbinder hat Beheims Geschichte 1970 verfilmt. Niklashauser Fart heißt das Werk, in dem unter anderem Walter Sedlmeyer und Hanna Schigulla zu sehen sind.

Fassbinder beschreibt die Bauern als „getrieben von einer unartikulierten, dumpfen Unzufriedenheit“. Beheims politisches Programm hätten sie sich nicht vorstellen können. „Unter dem Zwang ihrer schlechten Verhältnisse“ sei „ihnen auch die Phantasie ausgetrieben worden, sich bessere überhaupt denken zu können.“ So, meint er, hätten sie sich die Verbesserung ihrer Lage nur als Wunder vorstellen können. Beheim „konnten sie nicht als Revolutionär, sondern nur als Messias verstehen.“

Was stimmt? „Die Quellenlage ist völlig einseitig“

Den Bischöfen in Würzburg und Mainz war das nicht geheuer. Wikipedia zufolge waren die Wallfahrer friedliche Leute, bei Engels, im Deutschen Sagenbuch und in anderen Berichten aber waren sie im Juli 1476 drauf und dran, sich zu bewaffnen und gen Würzburg zu stürmen. Noch bevor es dazu kam, entführten Schergen des Bischofs den Beheim, um in Würzburg kurzen Prozess mit ihm zu machen.

Hans Beheim auf der Scheiterhaufen, abgebildet in der Chronik des Lorenz Fries von 1544.

Was stimmt? Wer war dabei und hat erzählt, was wirklich war? Richtig ist wohl die Nachricht von seiner Entführung. Aber sonst? Die Quellenlage, schreibt der Historiker Thomas Holub im 1997 erschienenen Jahrbuch für fränkische Landesforschung, „ist vollkommen einseitig“.

Alle überlieferten Nachrichten entstammten den Schreiben, die Würzburgs Bischof von Scherenberg und seine Räte den benachbarten Städten und Landesherren sandten. Übertreibungen, Erklärungen und Rechtfertigungen“ bestimmten diese Berichte, berichtet Holub, sie hätten „allein“ dem Zweck gedient, Bündnispartner für Maßnahmen gegen die Niklashäuser Wallfahrt zu gewinnen. „Sie sollten aber auch das eigene, zuweilen überzogene Handeln erklären und rechtfertigen.“

Die Bischofspropaganda wirkt

Um die Desinformation perfekt zu machen, sei im näheren Umfeld des Würzburger Bischofs das Lied „Die nicklas hausser fart“ entstanden, das den Beheim „als einen Betrüger, Lügner und Narr darstellt, der angesichts des Todes auch noch feige gewesen sei“.

1490 ist das Lied gedruckt worden; das Titelblatt zeigt den Hans Beheim, wie er mit der linken Hand die Pauke und mit der rechten die Flöte spielt – obwohl bis dato in keinem Bericht von einer Flöte die Rede war.

„Eine Flöte oder Pfeife“, so Holub, „galt tatsächlich als ein Instrument, dem lockende Zaubergewalt innewohnte. Mit der Flöte wurden Ratten gelockt und Kinder verführt“. Die Geschichte vom Rattenfänger von Hameln stammt aus dem späten 13. Jahrhundert. So ist aus dem Pauker von Niklashausen das Pfeiferhänsle geworden.

Wikipedia-Leser erfahren, am 19. Juli 1476 sei das Urteil gesprochen worden. Beheim habe demnach„mit Teufels Hilfe Marienerscheinungen vorgetäuscht und die ehrbaren Wallfahrer in Niklashausen durch seine Predigten verhext“. Er sei der Ketzerei schuldig. „Der fassungslose Jüngling wurde danach auf den Scheiterhaufen geführt. Während die Flammen hochloderten, soll er mit heller Knabenstimme Marienlieder gesungen haben, bis Schmerz, Feuer und Rauch seine Stimme brachen und erstickten.“

So kann es gewesen sein – und ganz anders auch.


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