Der Studentenstein im Ringpark

Wie Deutschnationale mit einem Denkmal auf Kosten der Stadt Krieg und Vaterländerei verherrlichen

Enthüllung des Studentensteins am 17. Juli 1927. (Foto: Stadtarchiv Würzburg)

Im Ringpark, gegenüber der neuen Universität, steht der Studentenstein: ein zwei Meter hoher, 20 Tonnen schwerer Quader aus Granit mit der Inschrift „Die deutsche Studentenschaft im Gedenken an den Tod – das Opfer – das Vorbild.“ Gewidmet ist er den deutschen Studenten, die auf den Schlachtfeldern der beiden Weltkriege gestorben sind.

6000 Studenten, der Bischof, die Reichswehr und der Geist von Langemarck

Der Stein hat eine Geschichte, und sie beginnt am 18. Juli 1919. Da wird in Würzburg die Deutsche Studentenschaft gegründet, in der alle Hochschulen der jungen Republik vertreten sind. Sie beschließt die Errichtung eines Mahnmals für die gefallenen Studenten des Ersten Weltkriegs. Acht Jahre später versammeln sich die deutschen Studenten wieder in Würzburg, zum 10. Deutschen Studententag und um das Mahnmal einzuweihen.

Der 17. Juli 1927, ein Sonntag, ist kein guter Tag für kriegsmüde Würzburger. Denn im Ringpark, damals noch gegenüber dem Huttenschlösschen, versammeln sich um einen verhüllten, riesigen Stein 6000 Studierende aus ganz Deutschland, Mitglieder der bayerischen Staatsregierung, der Würzburger Bischof Matthias Ehrenfried, städtische Honoratioren und eine Ehrenkompanie der Reichswehr.

Der Historiker Walter M. Brod berichtet von 300 Fahnen der studentischen Korporationen mit ihren Chargierten. Kränze seien niedergelegt, beinahe alle mit schwarz-weiß-roten Schleifen (den Farben der kaiserlichen Kriegsflagge) und von neun Fahnen der Stammregimenter von Langemarck, die eigens nach Würzburg gebracht worden seien. Der Geist von Langemarck wird beschworen.

Kindermord in Ypern

Plakat zum Spendenaufruf für den Studentenstein, 1923 -1925. (Quelle: Architekturmuseum der Technischen Universität München)

Dieser Geist ist ein Mythos, destilliert aus einer grauenvollen Schlacht am 10. November 1914 in Flandern, in der etwa 2000 Soldaten der Reichswehr ums Leben kamen. Die Oberste Heeresleitung verlautbarte tags darauf, „junge Regimenter“ seien „unter dem Gesange ,Deutschland, Deutschland über alles‘“ gegen feindliche Stellungen vorgegangen und hätten sie eingenommen.

Dass aber die jungen Männer im Stakkato des Sturmangriffs, während des Rennens auf regendurchweichtem Boden, die getragene Melodie des Deutschlandliedes gesungen haben, glaubten nüchterne Zeitgenossen nicht. Der Pazifist und Publizist Kurt Tucholsky nahm die Darstellung der Heeresleitung literarisch auf, nannte den kommandieren General Emil Ilse den „Kindermörder von Ypern“ und schrieb, was der „bei Langemarck in den Tod jagte, waren gutgläubige, frische deutsche Jungen, die, fanatisiert, nicht wussten, für welch eine schlechte Sache sie rufend und singend in den Tod gingen.“

Der Mythos ist in der Welt. Der kaiserlichen Propagandamaschinerie ist ein Coup geglückt, der in manchen Kreisen bis heute wirkt.

„Deutschland muss leben und wenn wir sterben müssen“

Ein Salut aus Geschützen, die Hülle fällt vom Mahnmal im Ringpark, und da steht der Stein: 22 Tonnen Granit mit einem pyramidenförmigen Aufsatz und einem Reichsadler als Krönung. Die Inschrift ist eine andere als heute: „Deutschland muss leben und wenn wir sterben müssen.“

Die Reden sind eindeutig. Brod zitiert Gunther Thon, den Vorsitzenden der Deutschen Studentenschaft: Der habe gesagt, der Stein solle „Zeugnis geben von Brudertreue und Opfermut“. Thon habe appelliert, „die Tugenden der Kämpfer zum Vorbild“ zu nehmen und erklärt: „Wir glauben unerschütterlich, dass der Geist von Langemarck die Zerrissenheit und Zerfahrenheit von heute überwinden wird.“

Ein Ulrich Kersten aus Breslau hat Brod zufolge als Vertreter der deutschen Studentenschaft gelobt, nicht zu ruhen, „bis all das wieder frei“, sei wofür die Gefallenen „in den Tod gegangen“ seien. Das sind Studenten, wie sie der Bayerische Ministerpräsident Heinrich Held gerne hat. Am Vorabend der Feierlichkeiten sagt er laut Brod bei einem Festakt in der Residenz, die deutschen Hochschulen seien stets eine „Erziehungsstätte zur Opferbereitschaft“ gewesen. Dieser Aufgabe sollten sie auch „in Zukunft ihre besten Kräfte widmen“.

Ein Hakenkreuz und der Stein wird bei seinem Namen genannt

Brod berichtet auch über Kritik an der Veranstaltung. Aus einer nicht genannten Quelle zitiert er, diese jungen Leute würden „unter dem gefährlichen Einfluss rechtsradikaler Elemente stehen“, denen es „lediglich auf die politische Streitsucht ankommt“. Solchen Elementen hält die Republik nicht stand.

Das nationalsozialistische Würzburg legt rund um den Studentenstein ein Aufmarsch- und Feierareal an; Hakenkreuz und Eisernes Kreuz werden eingemeißelt, ein größerer Reichsadler aufgesetzt. Der Quader heißt nun konsequent „Langemarck-Stein“; der Reichsstudentenführer Gustav Adolf Scheel hat es so verfügt.

Neue Inschrift nach dem Krieg

Nach dem Krieg sprengen amerikanische Soldaten den Adler vom Stein. 1950 beschließt der Verband Deutscher Studentenschaften (VDS), das Denkmal wieder herrichten zu lassen. Er schreibt einen Wettbewerb zur Neugestaltung aus, eine Jury kürt einen Entwurf des Berliner Bildhauers Hubertus von Pilgrim zum Sieger. Am 16. Oktober 1957 berichtet die Main-Post, von Pilgrim sehe „auf der Frontseite des Steines in erhabenen Kupferbuchstaben die Insignien vor: ,Die Deutschen Studentenschaften ihren in den beiden Weltkriegen und im Widerstand gefallenen Kommilitonen‘“.

Am 18. Juli 1959 wird der Studentenstein eingeweiht, nun gegenüber der neuen Uni am Sanderring in seiner heutigen Erscheinung. Die Inschrift lautet, anders als im Entwurf: „Die deutsche Studentenschaft im Gedenken an den Tod – das Opfer – das Vorbild“. Wer und warum dafür gesorgt hat, ist nicht erforscht.

Schlicht und einfach „wie der Stein selbst“ sei die Einweihung gewesen, berichtete die Main-Post. Schweigend seien die Teilnehmer einer VDS-Delegiertenkonferenz zum Quader gezogen, Vertreter der westdeutschen Universitäten hätten Kränze niedergelegt.

Welches Opfer? Für wen? Für was? Und welches Vorbild?

Der VDS-Vorsitzende Manfred Lennings meint in seiner Rede, der Stein mahne nun, „dass die Güter der Freiheit und Gerechtigkeit und das Eintreten für eine Menschlichkeit sehr wohl ein Wagnis wert seien“. Die Main-Post setzt die Überschrift „Studentenstein – Mahnmal des Friedens“ über den Bericht, in dem von Frieden nicht die Rede ist. Und während einer Kranzniederlegung im Juli 1977 interpretiert Uni-Präsident Theodor Berchem eine „zeitlose, grenzenübergreifende und völkerverbindende Intension“ in den Stein hinein.

Dabei nehmen der Quader und die Inschrift „(…) in Gedenken an den Tod, das Opfer, das Vorbild“ den Langemarck-Mythos wieder auf, wie ihn 1927, bei der Einweihung, Redner wie Thon, Kersten und Held beschworen haben: Es ist der Versuch, dem Tod der Soldaten, die als Täter in ein fremdes Land eingedrungen sind, einen Sinn zu geben, indem man ihn als vorbildhaftes Opfer deklariert. Warum nicht die Begriffe Frieden, Gerechtigkeit oder Völkerverständigung auf dem Stein stehen, und warum er nicht des Lebens gedenkt, wenn das doch gemeint sein soll, das erschließt sich aus der Inschrift nicht.

Erinnerung an die Schrecken des Krieges

Immer zum Jahrestag der Enthüllung von 1927 versammeln sich um den Stein neun Studentenverbindungen, die im Intercorporativen Convent (ICC) Würzburg zusammengeschlossen sind, und legen Kränze nieder. Das sei „eine gewisse Tradition“, sagt Patrick Deutsch, ein Sprecher des ICC. Doch mit dem Langemarck-Mythos verbinde die Verbindungen „nichts, außer Ablehnung“. Die Corporierten versuchten, am Studentenstein „an die Schrecken des Krieges zu erinnern und an das, was Kriege auslöst“.

„Natürlich“, sagt Deutsch, sei der Ursprung dieses Denkmals – „die Verklärung von Patriotismus und Nationalismus“ – ein Problem. Aber durch die Veränderung der Gestaltung und der Inschrift müsse „man sehen, dass sich wirklich was verändert hat“.

Die Stadt Würzburg hat das Denkmal 1927 durch ihren Oberbürgermeister Hans Löffler „in Hut und Schutz“ genommen, „als wertvolle Gabe für alle Zeiten“.

Heute bewertet die Stadt im „Dialog Erinnerungskultur“ ihre alten Denkmäler neu. Kulturreferent Muchtar Al Ghusain sagte 2012 über den Studentenstein, er sei „wunderbar geeignet, dass alte Linke gegen alte Rechte ihre Auseinandersetzungen zur Schau stellen“. Er selbst wolle sich da „nicht in eine Auseinandersetzung hineinbegeben“, indem er „eine dezidierte Position einnimmt“. Aber er bekennt ein „Unbehagen mit Denkmalen aus früheren Zeiten“.

Die Aufgabe sei, „den Diskurs zu führen und Ergebnisse zu suchen“. Er wolle die Denkmäler belassen wie sie sind und sie erklären. Sie müssten „in ihren Kontext gestellt werden“, sagt er. Das könne interessanter sein, als wenn man sie korrigiere.

Literaturtipp

Brod, M. Walter: Der Studentenstein, das Mahnmal der deutschen Studentenschaft in Würzburg, in: 1582 – 1982 Studentenschaft und Korporationswesen an der Universität Würzburg, herausgegeben zur 400-Jahr-Feier der Alma Julia-Maximiliana vom Institut für Hochschulkunde an der Universität Würzburg, Kommissionsverlag Ulrich Becker, Würzburg, 1982

Schellakowsky, Johannes: Vom nationalen Monument zum Mahnmal des Friedens: Der Würzburger Studentenstein – ein fast vergessenes Denkmal der deutschen Studentengeschichte. Mainfränkisches Jahrbuch, Band 61, herausgegeben von den Freunden mainfränkischer Kunst und Geschichte, 2001.

Ich bin mit den Analysen und der Haltung beider Autoren absolut nicht einverstanden. Dennoch ist ihre Lektüre notwendig, um die Geschichte und Bedeutung des Studentensteins einordnen zu können.

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