Nieder mit dem generischen Maskulinum!

Ich hatte mich gefürchtet vor der vielen Arbeit, deswegen ließ ich es jahrelang liegen, mit schlechtem Gewissen: das gendergerechte Umbauen meiner Texte auf dieser Webseite.

Im Januar, als ich mich an den Relaunch von schreibdasauf.info machte, fand ich keine Ausreden mehr.

Frage an den Schwarm!Ich relaunche meine Website. Dazu gehört, die Texte nach und nach geschlechtergerecht…

Gepostet von Wolfgang Jung am Samstag, 18. Januar 2020
Wer das Posting anklickt, begibt sich in die Fänge des Datenkraken Facebook, kann aber beim Anklicken der kleinen Sprechblase am unteren Ende die Diskussion nachlesen.

Einige, Männer und Frauen, interessierte die Frage nach dem Wie weniger als die Frage nach dem Ob.

Übers Ob bin ich hinaus, das diskutiere ich nicht mehr.

In meinem 60. Lebensjahr habe ich eben zum ersten Mal das Wort "Laiin" geschrieben.Bislang war mir gar nicht klar,…

Gepostet von Wolfgang Jung am Samstag, 25. Januar 2020

Waren Frauen dabei oder nicht?

Als ich begann, die Geschichten geschlechtergerecht umzuarbeiten, stieß ich auf ein Problem, das ich nicht bedacht hatte: Wie erzähle ich ein Ereignis richtig, wenn ich nicht weiß, ob die – in der Regel – Berichterstatter das generische Maskulinum verwendet haben oder ob tatsächlich keine Frauen dabei waren?

In 1932: Das große Nazi-Verdreschen von Eibelstadt marschieren 150 SA-Männer aus Würzburg den Main hinauf nach Sommerhausen, um dort einen „Deutschen Tag“ zu feiern. Im Eibelstadt machen sie vor der Kirche Halt, halten eine Kundgebung, stören die Gläubigen im vollbesetzten Bethaus und erleben eine Überraschung.

Katholische Eibelstädter, berichten tags darauf die Zeitungen, stürzen aus der Kirche heraus und fallen über die Nazis her. In einer nahen Wirtschaft lassen 70 Würzburger Kommunisten ihren Frühschoppen stehen und stürzen sich in den Kampf. Nazi-Nasen brechten unter den Hieben einer kommunistisch-katholischen Allianz.

In den Zeitungs- und Zeitzeugenberichten ist nur von zuschlagenden Männern die Rede.

Vermutlich aber schlugen auch Frauen zu. Warum sollten sie nicht zuschlagen, wenn Nazis sich breitmachen? Ich kenne Frauen, die zugeschlagen hätten.

Wahrscheinlich gebrauchten die Zeitungen – wie immer – das generische Maskulinum. Wahrscheinlich war ihnen nur die – vermeintlich – männliche Tat der Rede wert.

Das generische Maskulinum ist unpräzise

Aber ich kann nur mutmaßen. Ich weiß nicht, wie die Frauen sich verhielten. Beim Lesen der Berichte habe ich jedenfalls kein Bild von aktiven Frauen im Kopf.

Zum Geschichtenerzählen taugt das generische Maskulinum nicht. Es ist unpräzise.

In der vierten Märzwoche 2020 berichtete ein Main-Post-Redaktionsleiter in einem Videoclip auf YouTube und Facebook, wie die Main-Post-Redaktion in der Rhön in der Corona-Krise agiert. Die „Kollegen“, sagte er, arbeiteten verteilt auf den Reporterstationen. Im Landkreis Rhön-Grabfeld seien das Königshofen und Mellrichstadt, „wo sowieso jeweils nur ein Kollege arbeitet“.

Ich wollte wissen, ob da wirklich nur Männer arbeiten. Nach zweimaligem Nachhaken antwortete er, an diesem Tag hätten „tatsächlich auch zwei Kolleginnen“ im „mobile office der MP-Rhönredaktion“ gearbeitet.

Die Frau als Ausnahme

Entspräche der Wirklichkeit, was er im Videoclip sagt, wären Journalistinnen Ausnahme-Erscheinungen.

Wer das generische Maskulinum gebraucht entwirft eine Welt, in der Männer die Regel und Frauen die Ausnahmen sind.

Ein Kollege, dessen Arbeiten ich sehr schätze, meinte in der Debatte auf Facebook, er teile am Beginn seiner Geschichten mit, dass er immer auch Frauen meine, wenn er von Männern schreibe. Das genüge. (Anmerkung: Tatsächlich tut er das nicht. Ich vermute, er vergisst es.)

Vom Kampf gegen das generische Femininum

1987, während der Aktionen gegen die Volkszählung in der BRD, machte ich ungewollt eine Probe aufs Exempel.

Alle zwei Wochen fand im AKW eine Versammlung der Volkszählungsgegner:innen statt, zu der 200 und mehr Leute kamen. Ich moderierte die Versammlungen und las unter anderem die Ratschläge eines verbündeten Rechtsanwaltes vor.

In den Flugblatt-Texten gebrauchten wir das Binnen-I, wie die taz es tat. Um mir die Mühe zu ersparen, immer etwa von „Boykotteurinnen und Boykotteuren“ zu sprechen, las ich nur das „BoykotteurInnen“ vor und empfahl den Lauschenden, sich das großgeschriebene I zu denken.

An einem der Abende diskutierten wir keine Aktionen gegen die Volkszählung. Wir disktutierten mit erbosten und hitzigen Männern, die sich unterschlagen fühlten.

Wie wenig das generische Maskulinum funktioniert merken wir, wenn wir zum generischen Femininum wechseln.

Geschlechtergerecht und geschlechtergenau

Geschlechtergerecht zu erzählen ist eine politische Entscheidung gegen die männliche Dominanz auf beinah allen Ebenen, wo Männerarbeit höhergeschätzt und bezahlt wird als Frauenarbeit und Männerrollen mit mehr gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Freiheiten konnotiert sind als Frauenrollen.

Darüberhinaus halte ich geschlechtergenaue Sprache wegen des Diktums des präzisen Erzählens für so selbstverständlich, dass mir absurd erscheint, sie auch noch einfordern zu müssen.


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