Karl Weller: Scharfschütze gegen Franco

Wie ein Würzburger Antifaschist den Spanischen Bürgerkrieg und zwei Mal das KZ Dachau überlebte

Karl Weller als junger Mann im Spanischen Bürgerkrieg und als 95-Jähriger. (Foto: Theresa Müller)

Karl Weller, Jahrgang 1910, war ein Menschenfreund, der Menschen getötet hat.

Jahrzehntelang sprach er nicht darüber, auch mit seinen Nächsten nicht. Er war fast 80 Jahre alt, als er begann, die Erlebnisse seiner ersten 35 Lebensjahre aufzuschreiben. 1990 erschienen sie als Buch, von ihm selbst finanziert.

Im Jahr 2014, sechs Jahre nach seinem Tod, brachte der Würzburger Ergon-Verlag die Aufzeichnungen neu heraus, Titel: „Erinnerungen: Verfolgung und Widerstand im Nationalsozialismus.“ Untertitel: „Gestapohaft, KZ Dachau, Spanischer Bürgerkrieg und Befreiung“.

Ein Spaßvogel verschwindet

Kurz vor seinem 95. Geburtstag habe ich ihn und seine Frau Maria in der Spessartstraße in der Zellerau besucht. Ich erlebte einen aufgeschlossenen, lebendigen, international gesinnten und bescheidenen Mann; die Wohnung der beiden hatte iberisches Flair. Ich erinnere mich an eine Gitarre, viele Bücher und bunte Bänder. Später beschrieb ich Karl Weller in der Main-Post als einen „Spaßvogel, der sein Leben genießt und mindestens 100 Jahre alt werden will“.

Die Überraschung kam am Ende des Gesprächs beim Fotografieren. Plötzlich war der lustige Menschenfreund verschwunden. An die Stelle von Schalk und Wärme traten Härte und Strenge – er nahm die Haltung an, mit der er sich durchs Leben gekämpft hat. Kaum war Theresa Müller, die Fotografin, fertig, trat der Eiserne ab und der Menschenfreund war wieder da.

Die nächste Überraschung kam am nächsten Tag, beim Betrachten der Fotos. Mir war während des Gesprächs nicht aufgefallen, wie alt Karl Weller war. Jetzt sah ich: Er war sehr alt.

Er erzählt und verschweigt

Weller erzählte im Gespräch von seiner zweifachen Gefangenschaft im KZ Dachau und vom Kampf gegen die Faschisten im Spanischen Bürgerkrieg. Er beklagte sich nicht und klagte niemanden an. Er war heiter und wirkte ebenso jung wie weise; er war mitreißend. Er wich Fragen aus und gab nur wenig von seinem Leben nach 1945 preis: nichts über sein berufliches Tun, außer, dass er ein Beamter war, nichts über die Gründe für seine totale politische Zurückhaltung in der Bundesrepublik.

Als mich der Ergon-Verlag um das Vorwort für die Neuauflage von Wellers Erinnerungen bat, studierte ich sie noch einmal eingehend. Danach hatte ich mehr Fragen als zuvor.

Weller erzählt von einer harten, einsamen Kindheit als Vollwaise. Als 17-Jähriger gerät er in eine Versammlung Deutschnationaler, ist angewidert und will nichts mit ihnen zu tun haben.

Er geht auf Wanderschaft, zieht musizierend durch Europa, sehnt sich nach Gemeinschaft, lernt die Kunstsprache Esperanto, um sich international verständigen zu können, und entwickelt eine kompromisslose Abneigung gegen die Nationalsozialisten.

„Nieder mit Hitler!“

Am 9. März 1933 übernimmt die NSDAP in Bayern die Macht. Weller glaubt, dass seine Tage in Freiheit gezählt sind. Er pinselt mit roter Farbe „Nieder mit Hitler“ an die Wand einer Polizeiwache neben der Grombühlbrücke, wird beobachtet und verhaftet. „Dummerweise“, schreibt er, „fanden die Spürnasen der politischen Polizei auch noch den Trommelrevolver, den ich unter meiner Matratze versteckt hatte.“

Er berichtet nicht, wie und mit welcher Absicht er sich die Waffe verschafft hatte, ob er bereit war zu töten, ob er mit anderen im Bunde oder ein Einzelkämpfer war.

Nüchtern erzählt er von dem, was folgt: Verurteilung zu fünfeinhalbmonatiger Haftstraße, die er ab 1. Mai 1933 in Landsberg am Lech absitzt. Abtransport ins KZ Dachau im Oktober 1933, er wird Schutzhäftling Nummer 2119.

Weller macht die Schotten dicht

Die SS foltert und mordet, die Häftlinge leiden und sterben. Weller berichtet ohne auffällige Gemütsregung, als halte er noch 55 Jahre später, als 80-Jähriger, diee Schotten dicht, damit er in den Erinnerungen nicht untergehe.

Im Juli 1935 wird er aus dem KZ entlassen. Im Februar 1936 nimmt ihn die Gestapo wieder fest, verdächtigt ihn antinazistischer Umtriebe, kann ihm nichts nachweisen, lässt ihn neun Monate später frei.

Im Juli 1936 putschten in Spanien die Faschisten unter General Franco gegen die demokratische gewählte Regierung. Weller schließt sich den Verteidigern der Republik an, tritt in die XI. Internationale Brigade ein und kämpft gegen Francos Truppen.

Er erzählt nichts über seine politische Haltung, nur, dass ihm Rassenwahn und Antisemitismus von jeher ein Gräuel gewesen seien. Als Interbrigadist war er wahrscheinlich ein Kommunist.

Weller tötet

Er lässt sich zum Scharfschützen ausbilden und schießt mit dem Maschinengewehr. Er tötet Menschen. Als Scharfschütze hat er, davon ist auszugehen, seinen Opfern beim Sterben zugesehen, um sich zu vergewissern, dass sie tot sind. Er berichtet nicht darüber. Ob er sich mit Schuldgefühlen plagt oder er im Reinen mit sich ist, erörtert er nicht.

Er erzählt vom Kampf gegen die Faschisten wie von einem harten, blutigen Handwerk. Keine Romantik, kein Heldentum wie in Hemingways „Wem die Stunde schlägt“.

Eine Passage in seinen Erinnerungen hilft, den Soldaten und den Menschenfreund zu vereinen. Er erzählt, wie er nach seiner Gefangennahme im Frühjahr 1938 einen Soldaten aus Hitlers Legion Condor trifft – einen Nachbarn aus Würzburg.

Der Mann starb im Zweiten Weltkrieg. Weller schreibt, ihm wäre lieber gewesen,  „er hätte den Krieg ebenfalls überlebt, und wir hätten die Möglichkeit gehabt, uns zu gegebener Zeit als gleichgestellte Gesprächspartner freimütig (…) zu unterhalten“.

Die Elite im KZ

Drei Jahre lang halten die Francos Truppen in Kriegsgefangenschaft, dann übergeben sie ihn an die Nazis. Die sperren ihn zum zweiten Mal im KZ Dachau ein. Hier sind die Spanienkämpfer in einem eigenen Block untergebracht; sie empfinden sich als kämpfende Elite im Lager. Auch Weller tut das.

Was er im KZ beobachtet, was ihm da widerfährt, durchbricht schließlich doch die Nüchternheit seines Erzählens. Er sieht furchtbare Gräuel, schreibt aber nicht mitleidig, erzählt nicht von Mitleid. Er hätte womöglich nicht überlebt, wenn er mitgelitten hätte.

Weller gibt nur wenige Hinweise auf das, was ihn durchhalten ließ: die Solidarität unter den politischen Gefangenen, „die moralische Kraft, die wir aus der Überzeugung schöpften, auf der richtigen Seite zu stehen.“ Gewissheiten über seine Überzeugungen und sein Gefühlsleben gibt er auch hier nicht.

Halbtot will er noch weiterkämpfen

Ende April 1945 rücken die US-Truppen an Dachau heran. Die SS schickt Weller und Tausende seiner Leidensgenossen auf einen Todesmarsch. Am 1. Mai – auf den Tag genau zwölf Jahre nach seiner Inhaftierung in Landsberg – befreien ihn die GIs.

Er meldet sich, halbtot nach den Entbehrungen der vergangenen Jahre, zum Kampf gegen die Nazis. Aber die Amerikaner erledigen den Rest alleine.

Albträume und eine glückliche Art

Das alles hat er getan und erlebt und ist ein warmherziger, weiser alter Mann geworden. Körperlich hat er sich rasch erholt, psychisch nicht. Das Leben im Lager tauchte noch lange in seinen Albträumen auf.

Als ich ihn traf, 60 Jahre nach seiner Befreiung, sagte er, es gehe ihm gut. Er habe eine „glückliche Art“, er hänge „den schlechten Dingen sehr wenig nach“.

Im Mai 2008 ist er gestorben, 97 Jahre alt.

Literaturtipp

Karl Weller: Erinnerungen: Verfolgung und Widerstand im Nationalsozialismus, herausgegeben von Ruth Wagner und Wolfgang Bürner, Ergon-Verlag, Würzburg, 2014.

Offenlegung

Ich habe das Vorwort zu diesem Buch geschrieben.


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