Max Dauthendey, Künstler, Weltenbummler, Kotzbrocken

Wie Würzburger Alt-Nazis sich mit einem schmückten, der gar nicht so toll war, wie er sich fand

Max Dauthendey. (Foto: Nicola Perscheid)

Zu seinem 100. Todestag im Jahr 2018 machte Würzburg viel Aufhebens um den Dichter Max Dauthendey, der so überzeugt von sich war, dass er das Denkmal plante, mit dem die Würzburger:innen ihn nach seinem Tod zu ehren hätten.

Max Dauthendey, geboren 1867, aufgewachsen in der Büttnergasse, starb 1918, erledigt von Heimweh, Rheuma und Malaria, auf Java. Die Würzburger:innen hatten ihm kein Denkmal gebaut. Sie gaben einer Schule seinen Namen, einer Straße und einem Saal in der Stadtbücherei, dann vergaßen sie ihn. Nur ein paar Dutzend Liebhaber versammelten sich in der Max-Dauthendey-Gesellschaft, um sein Werk zu hüten die einen, um sich mit seinem Namen zu schmücken die anderen.

Nicht vergessen hat ihn der Tagessprecher Jan Hofer. Im April 2015, am Ende eines langen Winters, begrüßte er in der Tagesschau den Frühling mit einem Dauthendey-Gedicht:

Die Amseln haben Sonne getrunken,
Aus allen Gärten strahlen die Lieder,
In allen Herzen nisten die Amseln,
Und alle Herzen werden zu Gärten
Und blühen wieder.

Nun wachsen der Erde die großen Flügel
Und allen Träumen neues Gefieder,
Alle Menschen werden wie Vögel
Und bauen Nester im Blauen.

Nun sprechen die Bäume in grünem Gedränge
Und rauschen Gesänge zur hohen Sonne,
In allen Seelen badet die Sonne,
Alle Wasser stehen in Flammen,
Frühling bringt Wasser und Feuer
Liebend zusammen.

Hätte Dauthendey das gesehen, dann hätte er wahrscheinlich geschimpft, weil die Tagesschau ihn nicht so oft bringe, wie ihm gebühre. Für die Dauthendey-Gesellschaft war Hofers Rezitation ein Abgesang. Fünf Wochen später löste sie sich auf, im 81. Jahr ihres Bestehens. Unter den 70 Mitgliedern waren zu wenige, deren Dauthendey-Liebe für Vorstandsarbeit reichte.

Mal großer Dichter, mal Minderdichter

Er war bekannt mit großen Autoren und Künstlern seiner Zeit, wie George Bernhard Shaw oder Stefan George. Und gut war er. Literaturkenner wie sein Verleger Korfiz Holm nennen Dauthendeys Namen in einem Atemzug mit dem des Zeitgenossen Rainer Maria Rilke. Dauthendeys Werk aber ist, anders als Rilkes, nicht zeitlos. Dauthendey produziert künstlerische Abstürze wie diesen hier:  

In meiner Stadt regiert der Wein,
Nach Wein riecht jeder Pflasterstein,

Keller sind dort wie Katakomben,
Drin summen Fässer wie die Bomben.

Wenn man im Keller selig ist,
Den Leib man wie im Grab vergisst,

Der Kater reißt dich leicht nach oben,
Zum Kirchendache hocherhoben,

Und meine kleine Vaterstadt,
Unzählig viele Kirchen hat.

Zweifel an seinem Können hat er offenbar nicht. Im März 1918 dichtet er auf Java, vom Fieber geschüttelt, „Das Lied vom inneren Auge“. Seiner Frau Annie beschreibt er das Poem in einem Brief als „das größte gedankliche Lied, das seit langer Zeit für die Menschheit geschrieben wurde“. Es sei „wie eine Fortsetzung von dort, wo Christus aufgehört hat zu sprechen“.

Es hat die Menschheit nicht berührt.

Dauthendey ist sein eigenes Gegenteil

Viele tote Berühmtheiten, die nicht in Mord und Totschlag verwickelt waren, hat Würzburg nicht: mutmaßlich Walter von der Vogelweide, gewiss Tilman Riemenschneider, Balthasar Neumann und Leonhard Frank – dann wird es  knapp. Das Rathaus wollte es sich nicht leisten, Dauthendeys 150. Geburtstag am 25. Juli zu vergessen. Sibylle Linke, damals die Leiterin des städtischen Kulturamts, erinnerte sich seiner und suchte den Rat des Antiquars Daniel Osthoff, der 20 Jahre lang im Vorstand der Dauthendey-Gesellschaft arbeitete. Osthoff hatte Ideen. Herausgekommen sind elf Veranstaltungen in diesem Jubiläumsjahr, drei Ausstellungen unter ihnen.

Das ist gut so. Denn jetzt kommt ans Licht, was maßgebliche Dauthendey-Fans jahrzehntelang verborgen gehalten hatten. Der Jubilar war in allem sein eigenes Gegenteil: ein hochbegabter, großartig und grausig reimender, von Heim- und Fernweh geplagter liebenswürdiger Kotzbrocken, nicht der größte unter den Künstlern der Stadt, aber einer der interessantesten.

Lebemann mit dem Geld anderer Leute

Wäre er sparsam gewesen, hätte er wohl von seiner Kunst leben können, vom Verkauf seiner Bücher („Die acht Gesichter am Biwasee“ oder „Der Geist meines Vaters“) und Gedichte („Schwarze Sonne Phallus“ oder „Weltspuk“) und von den Tantiemen für seine Theaterstücke („Die Heidin Geilane“). Aber er war ein Lebemann, ein Bohème, der das Geld anderer Leute mit vollen Händen ausgab.

„Ich bin immer nur wütend, wenn ich seh, dass ich der Welt so wenig wert bin, dass sich nicht ein goldener Zufall einstellt, der meine Taschen anfüllt.“

Max Dauthendey

Das Geld für Weltreisen und kostspieligen Lebensstil besorgen seine Frau Annie, die Würzburger Bildhauerin Gertraud Rostosky, seine Freunde, Gönner und Verleger. Er hadert: „Ich bin immer nur wütend, wenn ich seh, dass ich der Welt so wenig wert bin, dass sich nicht ein goldener Zufall einstellt, der meine Taschen anfüllt. Ich komm mir überhaupt stündlich, wo ich was annehm, wie ein Lump vor und weiß doch gar nit, wie ichs anders machen soll.“

Während der Dichter viele Monate lang die Welt bereist, um Inspiration zu sammeln, bleibt seine Frau alleine in Würzburg und auf der Suche nach Geld für den kostspieligen Gatten. Sie, Spross der wohlhabenden schwedischen Kaufmannsfamilie Johanson, heiratet ihn 1896, lebt mit ihm, bevor sie nach Würzburg kommen, in Paris. Sie begleitet ihn auf Reisen nach Sizilien und Mexiko, wo er sich niederlassen und eine Künstlerkolonie gründen will, aber mit Land und Leuten nicht klarkommt. Sie macht alles mit.  

Er sei ihr treu gewesen, sagt er

Sibylle Grübel vom Stadtarchiv sagt, Annie Dauthendey sei „irgendwie nicht greifbar, da wurde nie weiter geforscht“. Grübel will wissen, warum Annie sich „teilweise so erniedrigt hat“ auf ihren Betteltouren. Die Dauthendey-Forscher hielten das offenbar für eine Selbstverständlichkeit wie Dauthendey selbst.

Fünf Wochen vor seinem Tod schreibt er ihr, er sei ihr immer treu gewesen. Da hat er wohl gelogen. Dauthendey-Kenner vermuten, dass er auch mit anderen Frauen zusammen war, unter anderem mit seiner Nothelferin und langjährigen Künstler-Freundin Rostosky. Grübel ist dabei, mithilfe des Nachlasses Dauthendeys Verhältnis zu den Frauen zu klären.

Homoerotische Passagen im Giftschrank

So widersprüchlich Dauthendey war, so widersprüchlich war auch das Wirken der Gesellschaft, die sich nach ihm nannte.  Ihre Mitglieder nahmen ihm lange, was ihn ausmachte: die Ecken und Kanten. Grübel berichtet, die Gesellschaft habe nur Unverfängliches von und über ihn veröffentlicht. Osthoff, der Dauthendeys Briefe vor 25 Jahren zum ersten Mal vollständig publizierte, bestätigt: Ganze Passagen, homoerotische zum Beispiel, hätten die Dauthendey-Verwalter aus ihren Publikationen gestrichen, ohne Hinweis darauf, dass es sie gibt.

Sie begeisterten sich für den Dichter, dem zu Würzburg Texte einfielen wie dieser: „Nur hier kommt geheimes Licht“ – er meinte Ultraviolett – „den Menschen so nah wie selten wieder auf einem Punkt der Erde.“ Das Würzburger Licht komme ihm „immer vor wie aus einem Jubel geboren“. Diese Stadt lasse die Liebe leicht entstehen, sie mache „die Liebessehnsucht schwerwiegend und die Liebensinbrunst tief“.

In der Gewalt von Alt-Nazis

Zwei Gesellschaftsvorsitzende fallen besonders auf: die Schriftsteller Wilhelm von Scholz und Hermann Gerstner. Scholz stand auf Hitlers Liste der 150 „Gottbegnadeten“, mit der die Nazis ihre wichtigsten Künstler ehrten. Beide hatten die vermeintliche Herrlichkeit Hitlers und des Nationalsozialismus besungen und sich nie davon distanziert.

Osthoff sagt, sie hätten in den 1950er- bis 1970erjahren Dauthendeys Reputation genutzt für eigene Zwecke. Sie hätten versucht, ihre Nazi-Vergangenheit zu verwischen und aus der Dauthendey-Gesellschaft einen Verein gemacht, der sich vor allem um die Förderung „fünftklassiger“ regionaler Dichter kümmerte.

So taten sie ihrem Ruf Gutes und Dauthendeys Andenken Schlechtes.  

„… gewissenloseste Ausbeutung der Menschen“

Der Dichter hatte aber auch einen schwierigen Charakter. Sein Verleger Korfiz Holm vom Verlag Albert-Langen (später Langen-Müller) schilderte ihn zwar als „wohlgesittet, feinnervig, von empfindlichem Gemüt und (…) von ungemeiner Rücksicht auf andere“, erzählte aber auch, dass Dauthendey explosiv auf leiseste Kritik reagierte. Und die Selbstverständlichkeit, mit der die Dauthendeys Leuten Geld für sein Weltenbummeln abschwatzten, erbitterte selbst engste Freunde wie Gertraud Rostosky. Sie schrieb, „dass die gewissenlose Ausbeutung der Menschen, von denen sie Geld erpressten, den schrecklichsten moralischen Schaden anrichtet“.

Eine Weltreise hat er vollendet, von der zweiten kam er nicht mehr heim. Er blieb auf Java, damals Niederländisch-Indien, hängen, wegen des Ersten Weltkriegs. Schwerkrank und erschöpft, sehnte er sich nach Deutschland, für das er in den Krieg ziehen wollte, und verzehrte sich in Sehnsucht nach seiner Frau. Wenige Wochen vor seinem Tod am 29. August 1918 schrieb er:

Vor dem Sterben der eine Gedanke

„Ich fühle mich heute Nachmittag so beklommen – wieder sehr beklommen. Ich leide so sehr an Sehnsucht und Heimweh, ich möchte in den Garten stürzen, mich auf die Erde werfen, das Gras raufen und schreien, schreien. Ich bin so gequält von meinem Herzleid. Es ist so quälend, so niederschlagend. Ich bin matt, zerschlagen und habe wie ein Durstender nur einen Gedanken, immer nur den einen Gedanken; meinen Herzdurst zu stillen. Ich bin ganz zerschlagen von dem unstillbaren Drang: Heim, heim zu Annie, endlich zu Annie!“

Am 29. August 1918 stirbt er in Malang auf der der Insel Java.

Zu Hause in Würzburg beklagt der Heimatdichter Ernst Luther in einem Nachruf „einen herben, unersetzlichen Verlust auch für das fränkische Geist- und Schrifttum“. Dauthendey habe neben dem – heute zu Recht vergessenen Schriftsteller Michael Geord Conrad – „die völkische und landschaftliche Eigenart Frankens in seiner reichen und vielseitigen dichterischen Tätigkeit am reinsten und getreuesten zum Ausdruck gebracht“.

Annie Dauthendey starb in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 im Feuersturm von Dresden.

schreibdasauf.info

Neugierig geworden auf Texte von Max Dauthendey? Die Seite textarchiv.com veröffentlicht hier einige und eine Biografie auch noch.

Literaturtipp

Clausen, Jens Jürgen: Vom Verlust des Selbst in der Fremde. Eine Studie über das Reisen – anhand autobiografischer Texte. Dissertation, 2006

Korfiz, Holm: Farbiger Abglanz. Erinnerungen an Ludwig Thoma, Max Dauthendey und Albert Langen, München 1940

Luther, Ernst: Max Dauthendey †. In: Frankenland, 1918

Roßdeutscher, Walter: Erinnerungen an Annie Dauthendey, die viel besungene treue Dichtersgattin, die vor 50 Jahren im Feuersturm von Dresden ums Leben kam. In: Frankenland 33/1995

Roßdeutscher, Walter: Die „Neue Welt“. Refugium und Dichterwerkstatt von Max Dauthendey. Dokumentiert aus seinen Werken und anderen Schriften. Dauthendy-Gesellschaft, Heft 5, Würzburg, 2001

Roßdeutscher, Walter: Würzburgs „Neue Welt“ ein Hort der Künste. Dauthendy-Gesellschaft, Heft 6, Würzburg, 2002

Roßdeutscher, Walter: Die Max Dauthendey-Gesellschaft nimmt Abschied. Nachwort für Freunde und Sympathisanten. In: Frankenland 4/2015


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