Warum eine Ursulinen-Schülerin aus Würzburg türmte, zehn Jahre später zurückkehrte und ganz schnell wieder fort wollte
Sie hat Würzburg nicht gemocht und alle sollten es wissen: Die Schriftstellerin und Ex-Würzburgerin Angelika Mechtel hat 1972 einen knackigen Würzburg-Verriss geschrieben, für die Juli-Ausgabe des Merian-Heftes.
Würzburgs Stadtheimatpfleger Hans Steidle beschrieb Mechtel in einem Gastbeitrag für die Main-Post als eine der „interessantesten deutschen Autorinnen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts“. Würzburg habe sie „nicht unwesentlich“ geprägt. Verwunderlich sei, meinte er, dass die Würzburger dieses „sehr große Talent“ vergessen hätten.
Dieses tödliche Desinteresse, diese schlafende Heiterkeit
Mechtel, 1943 in Dresden geboren, 2000 in Köln gestorben, lebte dem Stadtarchiv zufolge vom April 1960 bis September 1963 in Würzburg, in der Rüdigerstraße 2. Prägend wirkte in dieser kurzen Zeit wohl nur ihr Konflikt mit der würzburgischen Bürgerlichkeit und Katholizität. Sie war 19 und Gymnasiastin bei den Ursulinen, als sie schwanger wurde.
Ihr erster Gedichtband, „Gegen Eis und Flut“ erscheint 1963, im gleichen Jahr, in dem sie Würzburg verlässt. In ihrem Merian-Beitrag schreibt sie 1972: „Als ich vor zehn Jahren von Würzburg wegging, war es dieses tödliche Desinteresse, diese schlafende Heiterkeit, die mich bedrückte und mich davon überzeugte, nicht mehr zurückzukehren, es sei denn, zu kleinen Besuchen.“
Stiche und Striche nur für den Herrn
Die Schriftstellerin, mit einigen Preisen bedacht, ließ sich in Nordrhein-Westfalen nieder und engagierte sich in der Folgezeit für eine Literaturgattung, die den Würzburger:innen in ihrer fabrikenarmen Stadt fremd war: der Arbeiterliteratur. Zudem war sie der SPD zugetan. Da war wenig, was Würzburger Herzen erwärmte.
Den Merian-Leser:innen erzählt Mechtel, wie es war in der Schule bei den katholischen Ursulinen. In der Handarbeitsstunde sagte „die Nonne: ,Jeder Stich, Herr, für Dich‘, und im Stenografie-Unterricht: ‚Jeder Strich, Herr, für Dich‘“. Sie berichtet von einer „dumpfen Religiosität“, in der Nietzsche zu lesen einer Todsünde gleichkam.
Für Merian wollte sie erforschen, welches Verhältnis die Würzburger zu ihrer Stadt haben. Ein sonniger Tag in einer schönen Stadt sei das gewesen, in der die Jungen nicht interessiert, was los ist, und in der die Alten dem Alten hinterher trauen, das im Bombenangriff vom 16. März 1945 untergegangen ist. Fast habe Würzburg den Eindruck einer Stadt ohne Probleme gemacht. „Heiter und ruhig wirkt diese Stadt, wie in einen hundertjährigen Schlaf verfallen.“ Und das, erinnert Mechtel, trotz der „Aktion Widerstand“, die sich zwei Jahre zuvor in der Frankenhalle gründete: rund 4000 alte und neue Nazis, die anschließend durch Würzburg marschierten und Parolen skandierten wie „Brandt an die Wand“.
Ein Stunde in Würzburg reicht
Auf dem Marktplatz, 1972 nach zweijähriger Bauzeit neu eröffnet, fragte sie junge Leute, die „scheinen apathisch und passiv und rufen nach Diskotheken“. Ihr Eindruck: „Der Bürger zieht sich in seine vier Wände zurück. Das Geschick der Stadt möchte er nicht selbst bestimmen, dafür hat er seinen Stadtrat.“
Würzburg sei eine „Biedermeierstadt ohne Brandstifter“. Sie schreibt: „Sechzig Minuten Tonbandaufnahmen lassen mich erschrocken nach den nächsten Abfahrtszeiten der Züge sehen.“
Die Schriftstellerin Angelika Mechtel und Würzburg passten nicht zusammen.
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