1932: Das große Nazi-Verdreschen von Eibelstadt

Wie 150 SA-Männer sich „Hitler idd a Drecksau!“ anhören und vor fliegenden Weihwasserkesseln türmen mussten

Die Schlagzeilen zum Sturm auf die SA-Kundgebung in Eibelstadt. (Quelle: Franz Schicklberger)

Am 11. Juli 1932 erscheint im katholischen Fränkischen Volksblatt eine wilde Geschichte, überschrieben mit: „Die blutige Schlacht von Eibelstadt“. Der SPD-nahe Fränkische Volksfreund berichtet tags darauf: „Nazi-Provokation in Eibelstadt“. Und noch einen Tag später meldet sich auch die nationalsozialistische National Stimme: „Rotmord wütet in Unterfranken“. Was war da los?

Im 64. Band des Mainfränkischen Jahrbuchs für Geschichte und Kunst erinnert Franz Schicklberger an die Ereignisse vom 10. Juli 1932,  als 150 SA-Männer von Würzburg aus zu einem „Deutschen Tag“ nach Sommerhausen zogen.

Schicklberger berichtet von ersten Spannungen in Randersacker, wo Einwohner:innen dem paramilitärischen Kampfverband der NSDAP feindselig begegnen.

„Denen da drinnen wird auch bald der Mund gestopft werden“

Der Volksfreund schreibt am 12. Juli, die SA-Leute hätten ihre Schulterriemen zu Knüppeln geflochten und „drohend gegen die Bevölkerung erhoben. Außerdem machten sie mit der Hand die Gebärde des Hängens, wodurch sie den Randersackerern (…) ihr Schicksal im Dritten Reich andeuten wollten“.

Die Nazis rechtfertigen ihr Tun in der Nationalen Stimme als „selbstschützende Absicht“ gegen hasserfüllte Randersackerer:innen. Es bleibt bei den Drohgebärden.

Anders in Eibelstadt. Das Volksblatt, wie der Volksfreund in harter Opposition zur NSDAP, berichtet, SA-Männer hätten, als sie an der Kirche vorbeizogen, gerufen: „Denen da drinnen wird auch bald der Mund gestopft werden.“ Auf dem Marktplatz hätten sie dann eine „wilde Wahlversammlung unter freiem Himmel“ abgehalten. Wo genau ist umstritten, vor dem Kriegerdenkmal oder vor der Mariensäule, aber gewiss ist, dass Josef Gross, der Bezirksleiter der SA, sich die Ladefläche eines Lkw stellt, um eine Ansprache zu halten.

Was der nationalsozialistische Redner verzapft

Die Eibelstädter:innen aber wollen nicht zuhören. Das Volksblatt berichtet: „Jeder Versuch, ihre bekannten Sprüche loszulassen, wurde durch ohrenbetäubenden Lärm der Zuschauer unmöglich gemacht.“ Offenbar dringt aber doch etwas durch, denn der Volksfreund schreibt: „Was der nationalsozialistische Redner hier verzapfte, war wiederum eine grenzenlose Herausforderung der Ortseinwohner, vor allem der Arbeiterschaft.“

Die National Stimme berichtet von „schweren Beleidigungen“ und „gemeinen Vorwürfen“ (…) „von einigen Hetzern und 20 jugendlichen Schreiern“.

Schicklberger hat Augen- und Ohrenzeug:innen befragt, die sich an Rufe wie „Heil Moskau, Hitler idd a Drecksau!“ erinnern. Der Eibelstädter Sebastion Haas soll vom SA-Wagen einen großen Packen Propagandamaterial entwendet und dem Wind übergeben haben.

Vom Volksblatt wissen wir, dass die Nazis, als sie einsehen, dass sie nicht ankommen, abrücken, Richtung Sommerhausen, „wutschnaubend, mit Hohn überhäuft“. Die Nationale Stimme berichtet: „Eine nach Hunderten zählende Meute brüllte die 160 Mann starke SA-Formation an.“ Die Wut der Einwohner habe keine Grenzen gekannt.

Anti-SA-Geschosse: Blumentöpfe, Gießkannen, Weihwasserkessel

Die Eibelstädter:innen, so erfahren wir weiter von Schicklberger, folgen den SA-Männern und die Rauferei ging los. Ein SAler habe mit einer Fahnenstange auf die Köpfe der Nazi-Gegner eingeschlagen.

Einige Eibelstädter, klagt später die Staatsanwaltschaft an, hätten die Nazis mit Steinen beworfen. Andere seien zum nahen Friedhof gelaufen, von wo aus sie die SA mit Blumentöpfen Grabeinfassungen, Gießkannen, Weihwasserkesseln und Kranzständern beworfen haben sollen. Dass Weihwasserkessel unter den Wurfgeschossen gewesen seien, bezweifelt das Volksblatt allerdings umgehend.

In der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Würzburg heißt es später, jener Sebastian Haas, der den Nazis schon das Propagandamaterial stahl, habe „die Leute aufgehetzt, die Nationalsozialisten aus Eibelstadt zu verdrängen“ und sich „besonders angriffslustig“ gebärdet.

Der Gauleiter haut seine Volksgenossen raus

Das Volksblatt meint dagegen, die besonders Angriffslustigen seien Kommunisten aus Würzburg gewesen. Augenzeugen zufolge hielten just an diesem Tag tatsächlich auswärtige Kommunisten im Gasthaus Zum Ross eine Versammlung ab. (In Eibelstadt, schreibt Schicklberger, habe 1932 eine „beträchtliche Zahl“ Kommunisten gelebt. Bei den letzten freien Wahlen vor der Nazi-Diktatur am 6. November 1932 hätten 77 Eibelstädter die KPD gewählt (81 die NSDAP), am 5. März 1933 seien es noch 51 gewesen, 160 stimmten für die NSDAP).

Eibelstädter:innen und Nazis verkeilen sich am Sommerhäuser Tor ineinander, bis aus Sommerhausen, das Schicklberger als „NS-freundlich“ beschreibt, Otto Hellmuth, der Gauleiter, mit einem Trupp Parteigenossen den SA-Leuten zur Hilfe kommt. Sommerhäuser Polizisten halten zu den Nazis, weil zwei Söhne von einem der Ihren der SA angehören.

Dann fallen Schüsse; einer trifft den 17-jährigen Eibestädter Max Sauer im Rücken. Nazis versetzen dem Bürger Jakob Christmann einen Messerstich und brechen ihm mehrere Rippen. Es gibt zahlreiche Verletzte auf beiden Seiten.

Als die Staatsanwaltschaft ihre Anklageschrift am 30. September fertig hat, wissen 20 Eibelstädter Nazi-Gegner, dass sie wegen Landfriedensbruch dran kommen können. Nicht ein SA-Mann ist angeklagt.

Gefürchtete Schlagkraft der roten Eibelstädter

Am 29. Dezember 1932 wird das Verfahren laut Schicklberger eingestellt, gemäß des Gesetzes über Straffreiheit. Dieses Gesetz, erst neun Tage zuvor verabschiedet, beinhaltete im Paragrafen 1, dass für Straftaten, „die aus politischen Beweggründen oder aus Anlass wirtschaftspolitischer Kämpfe begangen sind“, Straffreiheit gewährt wird, „wenn die Tat vor dem 1. Dezember 1932 begangen und keine schwerere Strafe als Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren (…) zu erwarten ist“.

Schicklberger schließt seinen Aufsatz mit der Beobachtung von Zeitzeugen, dass Eibelstädter Sympathisanten der NSDAP nicht mitgerauft hätten, „sondern die Unruhen von ihren Fenstern aus verfolgten, wohl weil sie die ablehnende Haltung und Schlagkraft der roten Eibelstadter gegen die Braunhemden kannten.“

Aber der Pfarrer wird ein Nazi

Der katholische Pfarrer, aus dessen Kirche die Eibelstädter:innen die SA-Kundgebung gestürmt hatten, hieß Peter Vogt. Zum 1. Mai 1933, berichtet der US-amerikanische Historiker Kevin Spicer, trat er in die NSDAP ein, Mitgliedsnummer 3.434.554, und zum 1. Februar 1934 in die SA.

Literaturtipp

Schicklberger, Franz: Politische Ausschreitungen in Eibelstadt 1932. Mainfränkisches Jahrbuch für Geschichte und Kunst, Band 64, 2012 herausgegeben von den Freunden Mainfränkischer Kunst und Geschichte

Spicer, Kevin: Hitler’s Clergy and National Socialism. Northern Illinois University Press, 2008


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