Wolfgang Schulz gegen Würzburg

Warum der Dadapräsident von Unterfranken vom Bischof von Würzburg den Dom haben wollte, besenrein und engelfrei

Werkstattbühne Würzburg, Wolfgang Schulz, Textbuch "Vivat Dada"
Textbuch und Dokumentation der Ereignisse um „Vivat Dada“ in der Werkstattbühne.

Dada, eine Kunstform des frühen 20. Jahrhunderts, weitestgehend sinn-, aber keinesfalls zweckfrei, jedenfalls rebellisch, mischte sich 1993 in Gestalt eines Briefes ins beschauliche Leben der Würzburger Ratsmitglieder. Die Mitteilung vom 28. Oktober lautete also:

„Der dadaistische Weltverband (DWV), Sektion Unterfranken, hat Sie mit sofortiger Wirkung abgesetzt. Sollten Sie unseren gnädigen Verfügungen nicht Folge leisten, werden wir Sie in Ihre häusliche Nasszelle stecken und Sie solange einweichen, bis sie für die Enten in Klein-Nizza verfütterungsfähig sind! Widerstand ist zwecklos! Seien Sie gefälligst etwas bekömmlicher!“

Unterzeichnet hatten „der Dadapräsident und sein Stellverdrehter“.

„umnACHTUNG! umnACHTUNG!“

Zur gleichen Zeiten klebten an Hauswänden und Laternenpfählen Flugblätter: „umnACHTUNG! umnACHTUNG!“ stand drauf, „Dada entsorgt Würzburg: Dada erklärt den Stadtrat für abgesetzt.“

Die Herkunft von Post und Flugblättern lag auf der Hand. Die Werkstattbühne, das Theaterlabor des Dr. Wolfgang Schulz in der Rüdigerstraße, spielte just zu jener Zeit eine fabelhafte Revue mit Namen „Vivat Dada!“, an deren Ende immer die neuesten Briefe und Unternehmungen des Dadapräsidenten und seines Stellverdrehters vorgestellt wurden.

Teile der Stadtverwaltung und des Stadtrates erregten sich prächtig über die Dadaiaten und schickten geharnischte Briefe an die Werkstattbühne. Schulz und sein Ensemble trugen die Schreiben auf der Bühne vor, zur Freude des Publikums.

Dass die Werkstattbühne etwas zu tun habe mit den Taten des Dadapräsidenten bestritt Schulz mit ungewohnter Höflichkeit. Aber er  war der Dadapräsident und Maximilian Reeg, der heute in Leipzig lebt, sein kongenialer „Stellverdrehter“.

Gott hat den Dom verzockt

Wie viele andere auch bekam der 87. Bischof von Würzburg, Paul Werner-Scheele, eine Nachricht vom Dadapräsidenten. Am 24. November las er: 

„Der Dada-Präsident teilt Ihnen hiermit mit, dass der liebe Gott, der dada ist im Himmel, anlässlich einer zünftigen Pokerrunde in der Taverne ,Zum Pulsar‘ in Planquadrat ZY 4,3 die Immobilie ,Würzburger Dom‘ zum Einsatz gebracht und prompt verloren hat. Wir bitten Euer Pfefferminenz, dafür Sorge zu tragen, dass der Dom bis zum 24. Dezember 1993 um 23 Uhr 55 von geistlichen Requisiten geräumt, durch Kammerjäger engelfrei und besenrein übergeben wird.“

Zu welchem Zweck Scheele den Dom räumen soll, wurde klar, als am 19. Dezember neue Flugblätter auftauchten:

„Am 24.12.93, Glock 24.00 h, findet im vom Ober-Dada im Pokerspiel mit dem lieben Gott gewonnenen Würzburger Dom ein Stadtrats-Krippelspiel statt, zu dem sich der Stadtrat geschlossen und vollzählig 5 Minuten vor 12 h einzufinden hat. Der Dadapräsident und sein Stellverdrehter werden an Ort und Stelle die Einteilung der Rollen vornehmen, wer die Ochsen, Kühe, Rindviecher, Esel sowie die Schafe und Böcke zu spielen hat. Eine Kostümierung ist nicht erforderlich.“

Weil aber der Bischof Gottes Wettschuld nicht eingelöst hat, ist aus dem Krippelspiel nichts geworden.

Die CSU will der Werkstattbühne die Zuschüsse streichen

Wolfgang Schulz, Würzburg
Wolfgang Schulz. (Foto: Wolfgang Jung)

Mittlerweile war ein Anruf des FWG-Ratsmitgliedes Hanns Hirsch zu einem der Höhepunkte der Dada-Revue geworden. Er hatte eine wüste Tirade auf den Anrufbeantworter der Werkstattbühne geschimpft. Die Bühne spielte das Band allabendlich zum Finale ab, vor begeistertem Publikum.

Im November 1993 beschäftigte sich der Stadtrat in einer Sitzung mit den Umtrieben. Einzelne Räte, vor allem von der CSU, verlangten, die Zuschüsse für die Werkstattbühne zu streichen, andere pochten auf die Freiheit der Kunst.

Es ging drunter und drüber, und nicht alle hatten begriffen, was da gespielt wird. Die CSU-Rätin Franziska Kimpfler etwa wollte vom Oberbürgermeister „endlich mal wissen, wer dieser Dada überhaupt ist“.

Das Ensemble der Werkstattbühne ist beeindruckt

Die Auseinandersetzung dauerte lang, die CSU setzte sich nicht durch. Danach disktutierten die Räte den Schuletat: Schulwegegeldfreiheit, kaputte Tafeln, Fenster und Dächer, Lehrerpensionen – auch diese Diskussion war laut und lang. Da meldete sich das SPD-Ratsmitglied Manfred S.* zu Wort und rief ins Mikrofon: „Herr Oberbürgermeister, ich fordere Sie auf, diese unselige Dada-Debatte endlich zu beenden!“ Er war eingeschlafen gewesen.

Auf den Zuschauerplätzen saßen die Leute von der Werkstattbühne. Sie waren beeindruckt. Besser, sagten sie danach, hätten sie es auch nicht hinbekommen.

schreibdasauf.info

* S., der inzwischen gestorben ist, hat als sehr alter Herr mich gebeten dafür zu sorgen, dass das Foto vom Dada-Textheft nicht bei Google erscheint, wenn man seinen Namen googelt. Ich entspreche seinem Wunsch, indem ich seinen Namen unkenntlich mache. WJ

Wolfgang Schulz verfügte vor seinem Tod im Oktober 2013, dass die Bühne nach seinem Ableben ihren Namen ändern muss. Das hat sie getan. Sie heißt jetzt so, wie sie in ihren Anfängen 1981 hieß: Theaterwerkstatt.

Siehe auch: Wolfgang Schulz, Theatermacher


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