Wolfgang Schulz, Theatermacher

Wie der zornige Schulz in Würzburg ein Theaterlabor unterhielt und für den Untergang des Abendlandes probte

Wolfgang Schulz, Theatermacher in Würzburg
Wolfgang Schulz. (Foto: Thomas Obermeier/Main-Post)

Er hat gesoffen wie ein Loch und geraucht wie ein Schlot. Er war schwierig wie kaum einer sonst. Er hat Menschen an sich gebunden, sie fertiggemacht und ausgespuckt. Ich habe ihn gehasst.

Ich habe ihn geliebt. Wolfgang Schulz, der Theatermacher von der Werkstattbühne, ein gebürtiger Ostpreuße, Würzburger seit 1965, gestorben am 9. Oktober 2012 im Alter von 72 Jahren in seiner Wohnung in Chania, Kreta, ist bis zuletzt, über 30 Jahre lang, mein Freund und mein Feind gewesen.

Der Schulz: ein Unterdrücker, solidarisch mit den Unterdrückten

Er hat mir mit seiner überbordenden Kreativität und der Wucht seines Denkens den Horizont geweitet. Ich habe ihm Einsichten zu verdanken, auf die ich lieber verzichtet hätte.

Alles, was er dachte und war, hat er auf die Bühne gebracht. Er war so vielfältig, dass ich nicht weiß, was sein Hauptantrieb war. Die Solidarität mit den Ausgebeuteten und Unterdrückten vielleicht, oder seine Wut und sein Hass auf Unterdrücker (obwohl auch er selbst oft genug einer war).

Gewiss trieb seine Behinderung ihn an. Er hatte sich als Kind beim Spielen mit einer Handgranate den linken Unterarm und Teile der rechten Hand weggesprengt.

So klar zu sein scheint, dass dieses Trauma sein Leben prägen musste, so wenig klar war es mir und vielen anderen. Beim ihm wirkte es wie eine lästige Petitesse, die keiner Rede wert ist. Ich erkannte erst nach seinem Tod, beim Lesen eines Transkripts aus dem Jahr 1984, wie sehr die Behinderung ihn geplagt hatte.

Ein Linksradikaler, ein Aufrührer, ein Prophet der Revolution

Der Schulz – Leute wie ich sprachen von ihm nur als „der Schulz“ – war ein Linksradikaler, ein Aufrührer, ein Prophet der Revolution. Er wurde nicht müde, vom Ende des Kapitalismus zu künden.

In den 70er Jahren schon, noch mit der studentischen Studiobühne, hat er sich am Kapitalismus gerieben. 1973 ging er gegen das Verbot seines Stücks „Der Geist von Oberzell“, eine Auseinandersetzung mit dem Druckmaschinenhersteller Koenig & Bauer, bis vor den Bundesgerichtshof und unterlag.

„Ein Jahr noch“, orakelte er ein paar Wochen vor seinem Tod, „ein Jahr noch, du wirst sehen, glaub mir“, dann würden die Massen dieses System stürzen, „die Leute sind nämlich gar nicht so blöd“.

Seine letzten Arbeiten widmete er, bevor er sich dem Kampf gegen das Universelle Leben zuwendete, Revolutionären wie der RAF oder Che Guevara. In der „Revolutionsorgel“ beschwor er wort- und bildgewaltig den großen Aufstand der Unterdrückten herauf; er ließ sie aus ihren Gräbern auferstehen und ein Blutbad unter den Unterdrückern anrichten. So war der Schulz.

Wer meinte, seiner Meinung zu sein, der erfuhr schnell, dass er irrte.

Keine Nachsicht fürs Katzbuckeln

Der Schulz, hochgebildet, mit einem scharfen Verstand, war immer einen Schlag radikaler, zorniger, unversöhnlicher, unnachgiebiger, lustvoller, wissender, bedenkenloser, boshafter. Und komplexer.

Typisch Schulz, dass sein engster Freund einer war, mit dem er wenig mehr als zwei, drei Überzeugungen teilte: Rainer Binz, der Macher der Boulevard-Bühne Chambinzky. Die beiden einten nur ihre Querköpfe.

Schulz war unbestechlich; die Bestechlichen schätzte er nicht. Mit Schmeichlern und Speichelleckern machte er kurzen Prozess.

Manchmal meinte ich, er spüre sich nur im Gegenwind. Wehte keiner, sorgte er für einen.

Tod den Herren! Tod den Knechten!

Er war schmerzhaft konsequent. In Niagara oder der Triumph des Todes im Kopfe des Indianers ließ er Herrn Kaputal und einen Knecht gegeneinander antreten. Nach einer irrwitzigen Folge von Bildern und Szenen beendete er den Kampf der beiden, indem er sie kopfüber von der Decke hängte, mit aufgeschlitzten Leibern. Herren gibt es, weil es Knechte gibt, also brachte er auf der Bühne alle um.

Der Schulz hat in der winzigen Werkstattbühne großes, sinnliches Theater gemacht. Wenn ich mich an Krakatau. Krakatoa. erinnere, ein Stück, in dem der indonesische Vulkan Krakatau explodiert, dann entsinne ich mich an gewaltige Landschaften, an ein riesiges Vulkan-Inneres. Unmöglich, dass das das Bühnenbild war.

Ein Menschenlaboratorium mit zwei Bühnen

Was er nicht zeigen konnte, hat er in den Zuschauern entfesselt. Der Schulz hat mich gelehrt, dass es im Theater immer zwei Bühnen gibt, und die zweite Bühne bist du selbst. Wenn du zulässt, dass einer wie er nicht nur seine Bühne, sondern auch dich bespielt, deinen Verstand, deine Erfahrungen und Schmerzen, deine Lust und deine Liebe, deine Träume und deine Angst, dann erfährst du Theater als etwas Großartiges, als Reichtum.

Er hat junge Menschen zum Theaterspielen gebracht. Viele hat er mit seinem Zorn, seiner Unbeherrschtheit, seiner Unbarmherzigkeit wieder vergrault.

Seine Werkstattbühne im Keller der Rüdigerstraße 4 war nie nur ein Theaterlabor. Sie war immer auch das Menschenlaboratorium des Wolfgang Schulz.

Das Kreuz mit den Kompromissen

Wie er gelitten hat, wenn er Stücke ins Programm nehmen musste, damit sie der Bühne Geld bringen! Die Kompromisse, die er mit Loriot, Karl Valentin oder schulklassentauglichen Klassikern machen musste, schlugen ihm mächtig aufs Gemüt.

Nie mehr wieder, versicherte er in seinen letzten Monaten, nie mehr wieder wolle er so etwas noch mal machen.

Es gab Jahre, in denen wir nichts voneinander wissen wollten. Womöglich hätte ich ihm, wie viele andere, den Rücken für immer gekehrt, wenn er 1992 nicht Phalásarna/D. Micro-Macro. Loci. Foci. Torsi. Der IC fährt jetzt 260 KaEmHa. Archaelogica. Metaphora. Quodlibets & Divertissements geschrieben und aufgeführt hätte.

Das Stück war unmäßig, zu groß für die Werkstattbühne, technisch nicht in den Griff zu kriegen. Schulz verschliss sein Ensemble und beinah auch das Theater am Neunerplatz, wo er proben durfte.

Er führte „Phalásarna“ dann in Fragmenten auf – was für ein unglaubliches, sinnliches und sinnenverwirrendes Durcheinander!

Die Entdeckung des zarten Wüterichs

Während er daran schrieb, plagte ihn die Angst vor dem Sterben; er hatte seine erste Herzoperation vor sich. Und er fand zu Tönen, die nicht einmal wir, seine Freundfeinde, von ihm kannten: innige und zarte. Der Schulz rührte uns zu Tränen. Dieser Wüterich hat in das Chaos „Phalásarna“ eines meiner liebsten Liebesgedichte hinein geschrieben:

Auf der Höhe des Hügels stehen wir,
aneinandergeschmiegt,
der Geliebte neben der Geliebten,
und schauen ins Gefunkel der Sterne.

Unten in der Ebene der Bucht
bellen die Hunde.
Wir sorgen uns nicht.
Unsere Schatten gehören der Nacht.

Sanft wiegen sich die Zweige
des Olivenbaums im Meereswind.

Wir sind einer des anderen Ziel.
Wir konnten uns nicht verfehlen.
Wir haben füreinander keine Beweise.

Dieses Monstrum, als das ich und andere ihn kannten, offenbarte Poesie und Zartheit, eine ungeahnte Menschenzugewandtheit. Ich erkannte in ihm, nach zehn Jahren Streit, den großen, ungehaltenen Menschenfreund.

Der Schulz hat gekämpft

Als seine gesundheitlichen Probleme zunahmen, hörte er mit dem Rauchen und, unterbrochen von einzelnen, gewaltigen Räuschen, auch mit dem Trinken auf. Er übte jeden Morgen die „Fünf Tibeter“ und ging regelmäßig schwimmen.

Er war überzeugt, dass nach dem Tod nichts kommt und wollte sein Leben nicht leichtfertig preisgeben.

Zwei Tage vor seinem Tod hat er uns aus Chania, wo er seinen zweiten Wohnsitz hatte, eine E-Mail geschickt: ein Hinweis auf einen neuen Blogeintrag zum Universellen Leben und zur Religion allgemein auf seiner Website. Er war, mitgenommen von seinen körperlichen Nöten, müde geworden, er hat mit einigen von uns über sein Sterben gesprochen.

Gestorben ist er dann während eines Telefongesprächs mit seinem Stellvertreter Stephan Ladnar. Er hat sich mit ihm wegen einer der kommenden Produktionen gestritten. Der Schulz hat gekämpft bis zum Schluss.

Literaturtipp

Berbig, Helga: Unterwegs. Wege und Umwege zum Berufswunsch. Herausgegeben vom Landesarbeitsamt Nordbayern, Referat für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, 1987.


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