Das KZ-Außenlager Würzburg

Wie die SS in Würzburg zwei Jahre lang ein Außenlager des KZ Flossenbürg führte und was den Häftlingen widerfuhr

Herbert Lehrmann aus Dresden flüchtete am 18. August 1943 aus der KZ-Haft in Würzburg. Gendarmen erwischten ihn, ein SS-Mann erschoss ihn. (Repro: Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Sachsen)
Herbert Lehrmann aus Dresden flüchtete am 18. August 1943 aus der KZ-Haft in Würzburg. Gendarmen erwischten ihn, ein SS-Mann erschoss ihn. (Repro: Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Sachsen)

Das Rote Kreuz weiß es. Im Haftstättenverzeichnis seines Internationalen Suchdienstes steht, beim Ausbau der Nervenklinik in der Füchsleinstraße (heute Margarete-Höppel-Platz), am Fuß des berühmten Weinbergs „Stein“, seien KZ-Häftlinge eingesetzt worden.

Niemand interessiert sich dafür, 22 Jahre lang, bis 1967.

Dann beauftragt die Zentrale Stelle der Landesjustiz­verwaltungen in Ludwigsburg, zuständig für die Aufklärung von Nazi-Verbrechen, die Würzburger Kriminalpolizei mit Ermittlungen. Die Beamten melden 1975, nach acht Jahren des Ermittelns, dass „keinerlei Anhaltspunkte für noch verfolgbare strafbare Handlungen vorhanden sind“.

Die Kripo erspart den Würzburgern, dass ans Licht kommt, was im Dunklen bleiben soll: dass Würzburg ein KZ-Standort war, eine Filiale des KZ Flossenbürg. Dieses Vernichtungslager in der Oberpfalz, an der Grenze zur Tschechoslowakei gelegen, hat in der Nervenklinik eines seiner 92 Außenlager betrieben.

Ein Massenmörder leitet die KZ-Außenstelle

Am 17. April 1943 erwähnt die Verwaltung des KZ Flossenbürg ihre Würzburger Filiale zum ersten Mal. Zum 22. März 1945, sechs Tage nach dem verheerenden Angriff der Royal Air Force auf Würzburg, wird es auf­ge­löst.

Chef des Außenlagers ist der schlimmste Massenmörder, den die Würzburger in ihrer – an Mördern und Totschlägern reichen – Geschichte hervorgebracht haben: Werner Heyde, Professor für Neu­ro­logie und Psychiatrie an der Würzburger Universität, Leiter der Uni-Nervenklinik, SS-Arzt, Obergutachter der „Aktion T4“, dem NS-Programm zur Vernichtung psychisch kranker und behinderter Menschen. Heyde ist verantwortlich für etwa 100.000 Morde.

Im Jahr 2004, zur 1300-Jahr-Feier Würzburgs, berichtet Jörg Skriebeleit, der Leiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, zum ersten Mal vom Außenlager. Es war, vergli­chen mit anderen, relativ klein, mit 60 Häftlingen aus acht Nationen. Die SS steckte die Gefangenen zunächst in das Gestapo-Notgefängnis in der Friesstraße im Frauenland. Nach einem halben Jahr, im Herbst 1943, zog sie um in die Füchsleinstraße 15, in ein stacheldrahtumzäuntes Kellergeschoss der Uni-Nervenklinik.

„Das KZ vor der Haustür war eher die Regel“

Ab 1942 spann die SS ihr KZ-System, so Skriebeleit, „spinnennetzartig über das ganze Reichsgebiet aus“. Das Würzburger KZ-Außenlager war eines von über 1200 Außenlagern. Volkhard Knigge, der Leiter der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, schreibt, „das KZ vor der Haustür war eher die Regel als die Ausnahme“. Wohl gerade deshalb, meint er, seien „die Spuren so vieler KZ-Außenlager in Deutschland getilgt worden“.

In seinem Standardwerk „Der SS-Staat“ nennt der Publizist Eugen Kogon, der das KZ Buchenwald überlebt hat, vier Zwecke von Konzentrationslagern:

  • Ausschalten der Gegner,
  • Ausbilden der Totenkopf-SS zu psychischer Härte,
  • Sammeln und Verwenden SS-eigener Arbeitssklaven,
  • Experi­men­te an Menschen.

In Würzburg braucht die SS Sklaven, um die Nervenklinik zu einem Hospital für Schädel-Hirnverletzte und traumatisierte SS-Leute auszubauen. Heyde richtet im August 1941 die Abteilung ein, kurz nach seiner Absetzung als T4-Obergutachter. Nach zwei Jahren im Mordgeschäft soll seinen Parteigenossen seine Homosexualität zuwider geworden sein.

Bringen wir sie um oder verwerten wir ihre Kraft?

Je länger der Krieg dauert, desto mehr Patienten schickt die SS nach Würzburg. 1943 nutzt Heyde seine Kontakte zum Inspekteur der Konzentrationslager Theodor Eicke, um für den Ausbau Arbeitskräfte aus dem unerschöpflichen Reservoir der Konzentrationslager zu ordern. Der Neurologe hatte den SS-Oberführer Eicke 1933 in Würzburg psychiatrisch behandelt und vor einer SS-internen Intrige gerettet.

Skriebeleit schreibt, dass das Regime der SS in den Konzentrations­lagern mit den „fundamentalsten Grundsätzen einer Produktivität der Arbeit“ kollidierte. Der Zweck „Repression und Vernichtung“ stand gegen den Zweck „Ausbeuten und Verwerten“.

In Würzburg agiert der Außenlager-Chef Heyde pragmatisch. Er stellt den Nutzen der Arbeitssklaven über die Ideologie. Weil er die Gefangenen braucht, tut er das Nötigste, um ihr Überleben zu sichern. Dadurch waren Skriebeleit zufolge die Überlebenschancen für die Häftlinge in Würzburg besser als in vielen anderen Lagern.

Weiße Tischdecke und weiße Porzellanteller, aber dann …

Einmal schien es, als gestatte die SS ihren Sklaven, in Würde zu speisen. Skriebeleit zitiert einen Häftling, der nach seiner Befreiung eine Geschichte erzählte, in der die Nonnen des Ordens „Töchter des Allerheiligsten Erlösers“ eine wichtige Rolle spielen. Sie versorgten das Personal der Uni-Klinik über die Krankenhausküche.

„Als wir am ersten Arbeitstag gegen Mittag (…) einrückten, um unsere Essenspause zu halten, wurden wir von den Nonnen, von der SS gesondert, in einen Nebenraum unseres Schlafsaales geführt, um dort unser Essen einzunehmen. Als wir Häftlinge ahnungslos den Raum betraten, blieb uns allen vor Erstaunen der Mund offenstehen. Auf einer langen Tafel, die weiß gedeckt war, standen statt unserer Blechschüsseln weiße Porzellanteller mit Goldrand und Blumenmuster und einem silberglänzenden Besteck. (…) Es war wie eine Hochzeitstafel auf einem Schloss.“

… kommt der Oberscharführer

„Wir setzten uns an die Tafel und löffelten die Suppe, während den meisten von uns Tränen der Rührung über die Wangen liefen. Alle von uns packte Heimweh nach zu Hause, nach guten zivilisierten Tischsitten. Nach Jahren des Dahinvegetierens in den Nazi-KZ saßen wir zum ersten Mal an einem festlich gedeckten Mittagstisch. (… )

Wir waren noch mitten im Essen, als der Oberscharführer zur Kontrolle den Raum betrat. (…) Wütend über diese Gleichstellung, forderte er mit scharfen Worten die Nonnen auf, dies nie wieder zu tun. Wir Häftlinge hätten unser Essen nur in Blechnäpfen einzunehmen und dürfen an keinem festlich gedeckten Tisch sitzen, schließlich wären wir ein Verbrechergesindel und keine Klosterbrüder.“

Anschließend verschlechterte die SS die Versorgung der Häftlinge erheblich, sie litten an Unterernährung und Krankheiten.

Kein Häftling war seines Lebens sicher

Zwei Todesfälle sind dokumentiert. Der Häftling Herbert Lehmann wurde nach seiner Flucht am 18. August 1943 von einem SS-Mann durch einen Genickschuss aus kurzer Entfernung ermordet. Ein zweiter Häftling, Heinrich Podjaworcek, starb am 12. März in Flossenbürg 35-jährig kurz nach seiner Rücküberstellung aus Würzburg. Ob sein Tod eine Folge der Gefangenschaft in Würzburg ist, ist ungeklärt.

Skriebeleit meint, der Fall demonstriere, „dass das Außenlager in Würzburg (…) integraler Bestandteil des nationalsozialistischen KZ-Systems“ gewesen sei und dass „die Häftlinge jederzeit von Misshandlungen, Deportation oder Tod bedroht waren“.

Die SS lässt sich das Waldhaus bequem machen

Das Waldhaus im Steinbachtal im Jahr 1913. (Foto: Archiv der Geschichtswerkstatt im Verschönerungsverein Würzburg)
Das Waldhaus im Steinbachtal im Jahr 1913. (Foto: Archiv der Geschichtswerkstatt im Verschönerungsverein Würzburg)

Heyde setzt die KZ-Häftlinge unter anderem in Außenbereich des Klinikums ein, für die Erweiterung einer Mauer, für Ausschachtungsar­beiten, den Bau einer Lazarettbaracke im Hof für das Ausheben von Unterständen als Schutz vor Luftangriffen. Die Männer arbeiten nicht nur in Grombühl. Im Steinbachtal, eine Stunde Fußmarsch südlich des Lagers, erweitert die Waffen-SS das Waldhaus um Lazaretträume; das SS-Führungsamt zahlt dem Eigentümer, dem Verschönerungsverein, eine Pacht dafür.

Das ist allerdings nicht der Verschönerungsverein Würzburg (VVW), wie wir ihn heute kennen. Max Domarus berichtet in „Hundert Jahre Verschönerungsverein Würzburg“, erschienen 1974, der VVW sei 1934 mit 17 weiteren Vereinen zwangsvereinigt worden, zum „Verein für Verschönerung und Gartenkultur Würzburg“. Erst im März 1946 stellten die alten Mitglieder die Eigenständigkeit des VVW wieder her.

Eine junge Frau zeigt Herz und ist dran

Die Identität von 41 Häftlingen des Außenlagers Würzburg ist bekannt. Die meisten sind Deutsche, Polen und Männer aus der Sowjetunion. Zwei hat das Deutsche Reich wegen ihrer Homosexualität inhaftiert.

Die Würzburger wissen von den Häftlingen. Sie sehen sie, wenn sie im blau-weiß gestreiften Lagerdrillich zur Arbeit marschieren – erst von der Friesstraße im Frauenland in die Füchsleinstraße, dann von der Füchsleinstraße ins Steinbachtal.

Ein Bürger sieht, wie eine 23-jährige Würzburgerin den Jammergestalten Zigaretten und Briefpapier zusteckt. Die Gestapo nimmt die junge Frau für drei Wochen in Schutzhaft und droht mit KZ, falls sie noch einmal Kontakt mit einem Häftling aufnähme.

Die KZ-Häftlinge und der 16. März 1945

Am 16. März 1945 trifft die Bomber Group Nr. 5 der Royal Air Force auch die Nervenklinik in der Füchsleinstraße und die Unterkünfte der KZ-Häftlinge. In den folgenden Tagen werden sie zum Bomben räumen und Leichen bergen eingesetzt. Am 22. März 1945 löst die SS das Außenlager Würzburg auf und verfrachtet die Häftlinge – 50 sind es noch – zurück ins KZ Flossenbürg. Am 20. April evakuiert die SS Flossenbürg; 5000 Häftlinge sterben während des Todesmarsches nach Dachau.

Im Mai 1945 internierte die britische Armee Werner Heyde, den Initiator und Profiteur der KZ-Außenstelle, im Juli 1947 flüchtete, ab 1949 verfasste er unter dem Namen Fritz Sawade in Flensburg binnen zehn Jahren rund 7000 nervenärztliche Gutachten. 1959 stellte er sich, nachdem ein Kollege seine Identität aufgedeckt hatte, der Polizei. 1964 nahm er sich in Untersuchungshaft im Zuchthaus Butzbach das Leben.

Niemand hat die Lager-Verantwortlichen und -Wärter zur Rechenschaft gezogen.


Die Gedenkstele am Torbogen der früheren Psychiatrischen Klinik der Universität am Margarete-Höppel-Platz. (Foto: Universitätsklinikum Würzburg)

Am 15. Oktober 2014 enthüllte das Universitätsklinikum auf dem Gelände der Psychiatrischen Universitätskliniken am Margarete-Höppel-Platz in Würzburg eine Steinstele mit den Inschriften „Zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus“ und „Zwangssterilisation 1934 ‑ 1945 Euthanasie 1940 – 1945 Aussenstelle KZ Flossenbürg 1943 – 1945“.


Literaturtipp

Kogon, Eugen: Der SS-Staat. Wilhelm-Heyne-Verlag, München, 18. Auflage, 1974

KZ-Gedenkstätte Flossenbürg: Außenlager Würzburg

Skriebeleit, Jörg: Auch in Würzburg?! Zur Geschichte eines unbemerkten Außenlagers des KZ Flossenbürg, in: 56. Band des Mainfränkischen Jahrbuchs für Geschichte und Kunst, Herausgeber: Freunde Mainfränkischer Kunst und Geschichte, 2004


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