Franz Rauhut, Pazifist

Wie ein Antimilitarist und Friedenskämpfer in Würzburg erst verfemt und dann doch aufgenommen wurde

Franz Rauhut, Pazifist
Franz Rauhut am 18. Juli 1981. (Foto: Armin Genser)

Dieter Feser aus Oerlenbach ist 19 Jahre alt, als er den Kriegsdienst verweigern will. Am späten Vormittag des 27. Februar 1975 sitzt er im Kreiswehrersatz in Heidingsfeld vor dem Gewissensprüfer Walter Bendrien.

Bendrien ist gefürchtet unter Kriegsdienstverweigerern. Der Journalist Reimar Oltmans schrieb, Bendrien habe sie behandelt „als seien sie Drückeberger, Feiglinge oder vaterlandslose Gesellen“.

Diesem Bendrien, bei dem Ottmann zufolge nur Zeugen Jehovas eine Chance haben, muss Feser nun beweisen, dass er irreparable seelische Schäden erlitte, sollte er einen Menschen töten. Das geht nicht gut. Der junge Mann besteht die vermeintliche Gewissensprüfung nicht.

Zwei Stunden lang dauert die Verhandlung. Am Nachmittag sitzt Feser, verstört und erschüttert, in Oerlenbach an Mutters Küchentisch und schreibt auf, was ihm widerfahren ist. Es ist das Protokoll einer Demütigung. Dann bringt er sich um.

Überall in der Republik berichten Zeitungen über den Fall. In vielen Geschichten taucht der Name eines Mannes auf, auf dessen Beistand Generationen junger Pazifisten hoffen: Franz Rauhut. 1888 wurde er geboren, 1988 ist er gestorben.  

Rauhut ist klein und schmächtig und nicht zu übersehen

Rauhut war Professor der Romanistik an der Uni Würzburg, klein und schmächtig von Gestalt und doch nicht zu übersehen und nicht zu überhören. Er war ein Pazifist mit Leib und Seele, ein entschiedener, leidenschaftlicher Gegner jeden Militärs.

Mehr als drei Jahrzehnte lang hat er Kriegsdienstverweigerer beraten, jeden Donnerstagabend in seinem Wohnzimmer in der Sanderau, Sonnenstraße 5. Dann saßen sie im Kreis zwischen wandfüllenden Bücherregalen und fragten und lauschten ihm. An manchen Abenden, erinnert sich Armin Genser, einer von ihnen, kamen so viele, dass sie sich auf mehrere Zimmer verteilen mussten.

„Nehmt die Heere weg,
und ihr nehmt die Kriege weg!“

Victor Hugo

1991 beantragte die Grünen-Stadträtin Benita Stolz zum ersten Mal, eine Straße oder einen Platz nach Rauhut zu benennen. 2018 hat sie es wieder getan, gemeinsam mit 23 weiteren Ratsmitgliedern.

Rauhut bekämpfte die Remilitarisierung Deutschlands und die Wehrpflicht, Atombombe und Nato-Doppelbeschluss. Genser berichtet von Vortragstourneen durch die ganze Republik.

Er argumentierte mit Denkern, gegen deren Wort, meinte er, auch Konservative nichts einwenden könnten, und zitierte Victor Hugo: „Nehmt die Heere weg, und ihr nehmt den Krieg weg!“, Papst Leo XIII.: „Die Wehrpflicht ist ein Attentat auf die Selbstbestimmung der sittlichen Persönlichkeit“, oder Carlo Schmid: „Wir wollen unsere Söhne niemals mehr in die Kasernen schicken, und wenn noch einmal irgendwo der Wahnsinn des Krieges ausbrechen sollte, dann wollen wir eher untergehen und dabei das Bewusstsein haben, dass wir nicht Verbrechen begangen und gefördert haben.“

Flugblatt Würzburger Friedensinitiativen zum 16. März 1979, Vorderseite. (Sammlung Armin Genser)
Flugblatt Würzburger Friedensinitiativen zum 16. März 1979, Rückseite. (Sammlung Armin Genser)

Er irrte. Seine politischen Gegner unterstellten ihm, den Kommunisten des Warschauer Pakts zu dienen. Noch 1981 verortete der Würzburger CSU-Grande Wolfgang Bötsch den 83-jährigen Rauhut als Teil einer linksextremistischen Szene. Davon allerdings war der Professor weit entfernt. Einen Aufsatz zur Frage „Lieber rot als tot?“ beantwortete er eindeutig: „Weder tot noch rot!“

Rauhut glaubte, dass der Frieden „in der Überzeugung von der Unantastbarkeit und Gleichberechtigung aller Menschen“ liege. Er beschrieb den Frieden als „permanenten Prozess geschichtlicher Veränderung des Menschen und der Gesellschaft.“ Friede mache eine Weltgesellschaft möglich, in der durch die Kontrolle und freiwillige Begrenzung von Macht die Existenz und Entfaltung jedes Menschen möglich sei.

Befreiung vom Soldatentum

Gedenktafel für Franz und Else Rauhut. (Foto: Wolfgang Jung

Zum 100. Geburtstag Rauhuts am 2. Oktober 1998, versammelte Stolz einen Kreis von Leuten und Initiativen, der ans frühere Wohnhaus der Rauhuts in der Sonnenstraße eine Gedenktafel hängte. Darauf steht: „Hier lebte mit seiner Frau Else der Pazifist und Romanist Prof. Franz Rauhut, geboren am 2. Oktober 1898, gestorben am 1. März 1988. Sein Streben galt der Befreiung der Menschheit von Soldatentum und Krieg.“

Gewitzt, versöhnend, provozierend und zornig

Stolz beschrieb ihn zur Enthüllung der Tafel als einen Menschen „von einer besonderen Eigenart: gewitzt, menschenfreundlich, versöhnend – aber auch provozierend, ästhetisch – aber auch kämpferisch, für Gewaltlosigkeit eintretend – aber auch zornig über Unrecht und Unvernunft“.

Rauhut stehe „gegen Fachidiotentum und fachliche Begrenztheit, für Offenheit und Vielseitigkeit, für Zivilcourage und Geradlinigkeit, für politisches Engagement und für den Optimismus, daß diese Welt zum Besseren hin veränderbar ist.“

„Macht langsam, die Rauhuts kommen nicht nach!“

In den fünfziger Jahren unterstützte Rauhut die Bewegung gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik. Mit seiner Frau Else protestierte und demonstrierte er gegen das Wettrüsten der Blöcke („Macht langsam, die Rauhuts kommen nicht nach!“, hieß es in den siebziger und achtziger Jahren auf den Friedensdemonstrationen in Würzburg). Noch als Greis zog er alleine mit einem Plakat durch die Stadt, auf dem etwa geschrieben stand: „Nehmt Gorbatschow beim Wort“.

Für das konservative Würzbur war er ein wandelndes Feindbild.

Würzburg nimmt den Friedensprofessor an

Der Umgang des offiziellen Würzburg mit dem Vermächtnis Rauhuts zeigt, dass die Stadt sich verändert hat. Das „tödliche Desinteresse“, von dem Angelika Mechtel 1972 geschrieben hat, ist einer gewissen Offenheit für Leute gewichen, die gegen den Strom schwimmen.

Gewerkschaften, Friedens -und christliche  Initiativen unterstützen Stolz‘ Antrag von 2018 ebenso wie Würzburgs ehemalige CSU-Oberbürgermeisterin Pia Beckmann und Theodor Berchem, der langjährige Rektor der Uni-Würzburg. Der beschreibt Rauhut als „eine Gallionsfigur der deutschen Friedensbewegung“, bedeutenden Romanisten und Humanisten. Er habe nicht alle seine Aktivitäten und Überzeugungen gutgeheißen oder geteilt, aber für Rauhuts „unermüdlichen Einsatz“ und Liebenswürdigkeit, habe er stets „höchsten Respekt und Bewunderung gehabt“.

Im April 2019, 28 Jahre nach dem ersten Anlauf, beschoss der Stadtrat, eine Straße nach Rauhut zu benennen. Das knapp 85 Meter lange Stück Straße, das Sander- und Sanderglacisstraße verbindet, heißt jetzt nach dem Mann, der über 30 Jahre lang jungen Männern beigestanden ist, die den Kriegsdienst verweigern wollten.

Eine Welt, wie wir sie wollen

Würzburgs Oberbürgermeister Christian Schuchardt sagte zur Enthüllung des neuen Straßenschildes, die Stadt mit diesem Straßennamen ihre „Sehnsucht nach einem dauerhaften Frieden für alle Menschen auf unserer Welt“.

Schuchardt beschrieb unterm Straßenschild die politischen Gegensätze in Rauhuts Zeit: Auf der einen Seite jene, die Deutschlands Remilitarisierung „als realititätsbezogen notwendig“ angesehen hätten und auf der anderen Seite „Mahner“ wie Rauhut, die eine Welt anstreben, „wie wir sie wollen“, nämlich ohne Waffen. Von einem Spannungsfeld sprach er, das „wir mit dieser Benennung einer Straße aushalten“.

Der Kampf geht weiter

Richard Schwaderer, ein Schüler und Weggefährte Rauhuts, sprach für den Initiativkreis, der sich ab 1991 für eine Rauhut-Straße einsetzte. Das „Gespenst des Krieges“ tauche wieder auf, sagte er, Politiker würden ihn wieder in ihr Kalkül einbeziehen. Umso bedeutsamer halte er Rauhuts Beispiel dafür, dass ein Wissenschaftler sein Wissen und seine Stellung nutzen kann, „um Verantwortung zu übernehmen für die Gesellschaft“. Rauhut habe sich gegen den „herrschenden Diskurs“ in der NS-Diktatur und während des Kalten Krieges gerichtet.

Der Professor focht für einen radikalen Pazifismus. Schwaderer berichtete von einer „aggressiven Intoleranz“ gegenüber Rauhut, auch von Kollegen an seiner Universität. Rauhut aber habe sich nicht beirren lassen. Er sei kein politscher Taktiker gewesen, „er dachte in humanistischen, moralischen, nicht in politischen Kategorien“. Sich dem Krieg als „fundamentalem und schrecklichstem Ausdruck der Barbarei“ entgegenzustellen, sei ihm als selbstverständliche Pflicht erschienen.

Literaturtipp

Oltmann, Reiman: Aus deutschen Landen der Armee – Schieß oder du kommst in den Knast. In: Stern, 20. November 1975, und in Spurensuche auf verbrannter Erde. Reportagen, Berichte. Erzählungen zur Zeitgeschichte. Deutschland, Europa. Südamerika, Asien, Afrika (1969-2009). Books on Demand GmbH, Norderstedt

Rauhut, Franz: Ist die allgemeine Wehrpflicht demokratisch, christlich, sozialistisch? Was der Lehrer und der Pfarrer nicht sagen, Herm.-J.-Gottmann-Verlag, 1959

Tischer, Wolfgang/Schröder, Norbert/Köpcke-Duttler, Arnold: Franz Rauhut. Was der Friede heute braucht, Haag + Herchen, 1990

1 Gedanke zu „Franz Rauhut, Pazifist“

  1. genau daran mußte ich jetzt wieder denken, wie ich 1984 auf einer Veranstaltung mit Prof. Dr. Rauhut war im AKW, dann wurde noch aus Leonhards Frank Buch der Mensch ist Gut vorgelesen.

    das war ein beeindruckender Abend, der einen in den Sinn kommt, wenn alle von Verteidigungsfähigkeit reden, die Alten die davon reden, werden das ja nicht sein und die Jungen wollen nicht mehr in Deutschland.

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